BGH gibt Klä­gern gegen HRE teil­wei­se recht

Der Bun­des­ge­richts­hof hat ent­schie­den, dass die in der Fi­nanz­kri­se ge­strau­chel­te Bank "Hypo Real Es­ta­te Hol­ding AG" (HRE) ihre In­for­ma­ti­ons­pflich­ten ge­gen­über dem Ka­pi­tal­markt ver­letzt hat. Damit be­stä­tig­ten die Rich­ter einen Mus­ter­ent­scheid des Ober­lan­des­ge­richts Mün­chen in einem Mus­ter­ver­fah­ren von durch den Kurs­sturz ge­schä­dig­ten An­le­gern nach dem Ka­pi­tal­an­le­ger-Mus­ter­ver­fah­rens­ge­setz (Kap­MuG) – al­ler­dings nur in einem Teil der Vor­wür­fe.

Glo­ba­le Krise an den Fi­nanz­märk­ten

Das Ver­fah­ren hat einen ziem­li­chen "Bart" und eine kom­pli­zier­te Vor­ge­schich­te: Die nun­mehr rechts­kräf­tig fest­ge­stell­ten Ver­feh­lun­gen be­tref­fen die Jahre 2007/2008, der Mus­ter­ent­scheid des OLG in der Vor­in­stanz ist auch be­reits über sechs Jahre alt. Die HRE war Kon­zern­spit­ze der HRE-Grup­pe, die Mitte 2007 struk­tu­rier­te Wert­pa­pie­re ("Col­la­te­ra­li­zed Debt Ob­li­ga­ti­ons") mit Bezug zu US-ame­ri­ka­ni­schen Im­mo­bi­li­en­kre­di­ten (US-CDO) für um­ge­rech­net rund 1,5 Mil­li­ar­den Euro im Be­stand hatte. Nach­dem die Ra­ting­agen­tu­ren Stan­dard & Poor's und Moody's am 10.07.2007 an­ge­kün­digt hat­ten, ei­ni­ge der Wert­pa­pie­re näher zu prü­fen, teil­te die Groß­bank am 11.07.2007 per Ad-Hoc-Mel­dung ein vor­läu­fi­ges Kon­zern­er­geb­nis vor Steu­ern im zwei­ten Quar­tal 2007 von rund 183 Mil­lio­nen Euro mit. Zudem er­höh­te sie die Pro­gno­se des Vor­stands für das Kon­zern­er­geb­nis im Ge­samt­jahr 2007 von 680 auf 710 Mil­lio­nen Euro.

Erst Be­ru­hi­gungs­pil­len, dann Kurs­sturz

Doch dann ging es rund: Am 30.07.2007 wurde be­kannt, dass die IKB Deut­sche In­dus­trie­bank AG vom Staat mit 8,1 Mil­li­ar­den Euro ge­ret­tet wer­den muss­te. Dar­auf­hin be­müh­te sich die HRE um eine gute Stim­mung am Ka­pi­tal­markt und be­stä­tig­te am 03.08.2007 in einer Pres­se­mit­tei­lung ihre op­ti­mis­ti­sche Vor­her­sa­ge. Zudem legte sie den Um­fang ihres US-CDO-Port­fo­li­os offen und be­ru­hig­te die An­le­ger mit dem Hin­weis, dass die HRE-Grup­pe auf­grund der ak­tu­el­len Markt­ent­wick­lun­gen nicht mit Be­las­tun­gen rech­ne. In einer wei­te­ren Pres­se­er­klä­rung vom 07.11.2007 gab sie bei der Ver­öf­fent­li­chung des Quar­tals­ab­schlus­ses die Ein­schät­zung ihres Vor­stands­vor­sit­zen­den be­kannt, dass die HRE-Grup­pe aus der Markt­kri­se der ver­gan­ge­nen Mo­na­te ge­stärkt her­vor­ge­gan­gen sei. Doch eine Her­ab­stu­fung von CDO durch die Ra­ting­agen­tur Fitch Ra­tings Inc. am 12.11.2007, die auch von der HRE-Grup­pe ge­hal­te­ne Wert­pa­pie­re be­traf, muss­te sie dann zum An­lass neh­men, ihr Be­wer­tungs­mo­dell für diese Fi­nanz­in­stru­men­te zu über­ar­bei­ten. Mit Ad-Hoc-Mel­dung vom 15.01.2008 gab sie be­kannt, dass dies zu Auf­wen­dun­gen in Höhe vom 390 Mil­lio­nen Euro ge­führt habe - davon 290 Mil­lio­nen Euro mit Aus­wir­kun­gen auf den Ge­winn. Die In­ves­to­ren re­agier­ten ver­schreckt: Bei Bör­se­n­er­öff­nung an die­sem Mor­gen lag der Ak­ti­en­kurs noch bei 33,10 Euro, im Laufe des Tages sank er auf 21,64 Euro.

Flut von Scha­dens­er­satz­kla­gen

Vor dem Land­ge­richt Mün­chen I tru­del­ten dar­auf­hin gegen die HRE und ihren frü­he­ren Vor­stands­vor­sit­zen­den eine Viel­zahl von Scha­dens­er­satz­kla­gen ein. Sie mach­ten gel­tend, das Kre­dit­in­sti­tut habe zwi­schen dem 11.07.2007 und dem 15.01.2008 Pflich­ten zur In­for­ma­ti­on des Ka­pi­tal­markts ver­letzt. Das OLG Mün­chen er­ließ so­dann im De­zem­ber 2014 auf einen Vor­la­ge­be­schluss des Land­ge­richts hin einen Mus­ter­ent­scheid, mit dem es unter an­de­rem In­for­ma­ti­ons­pflicht­ver­let­zun­gen im Zu­sam­men­hang mit den Pres­se­mit­tei­lun­gen vom 03.08.2007 und 07.11.2007, den Aus­wir­kun­gen der US-Im­mo­bi­li­en­kri­se ab dem 15.11.2007 sowie der Ad-Hoc-Mel­dung vom 15.01.2008 fest­stell­te. In­for­ma­ti­ons­pflicht­ver­let­zun­gen vor dem 03.08.2007 habe es hin­ge­gen nicht ge­ge­ben.

BGH Hebt OLG-Ent­scheid teil­wei­se auf

Die obers­ten Zi­vil­rich­ter hoben die­sen Be­schluss nun teil­wei­se auf, wie sie am 05.02.2021 be­kannt gaben, und schick­ten die Akten zu­rück nach Mün­chen. Zu Recht habe das OLG zwar eine In­for­ma­ti­ons­pflicht­ver­let­zung vor dem 03.08.2007 ver­neint, be­fan­den sie. Seine Fest­stel­lung, die auf die bis­he­ri­gen Quar­tals­er­geb­nis­se ge­stütz­te Er­geb­nis­pro­gno­se für das Ge­schäfts­jahr 2007 sei weder wegen einer feh­ler­haf­ten Bi­lan­zie­rung der US-CDO noch auf­grund einer feh­ler­haf­ten Ein­schät­zung der für das zwei­te Halb­jahr zu er­war­ten­den Ge­schäfts­ri­si­ken zu be­an­stan­den, sei aus Rechts­grün­den eben­falls nicht zu be­an­stan­den. Weit­ge­hend un­be­an­stan­det lie­ßen sie fer­ner die Fest­stel­lung der Vor­in­stanz, dass die Pres­se­mit­tei­lung vom 03.08.2007 un­wah­re und un­voll­stän­di­ge An­ga­ben ent­hal­ten habe. Be­an­stan­det hat der BGH je­doch die daran an­knüp­fen­de Fest­stel­lung, die HRE sei des­halb ver­pflich­tet ge­we­sen, die Aus­sa­gen durch eine Ad-Hoc-Mel­dung zu kor­ri­gie­ren. Denn eine un­wah­re öf­fent­li­che Ver­laut­ba­rung in einer Pres­se­mit­tei­lung be­grün­de eine Ad-Hoc-Mit­tei­lungs­pflicht hin­sicht­lich der Un­rich­tig­keit der An­ga­ben erst, wenn sie zu einer mit­tei­lungs­pflich­ti­gen In­si­der­infor­ma­ti­on führe - nicht schon, weil sie un­zu­tref­fend sei.

Teil­erfolg für Klä­ger

Der Mus­ter­ent­scheid wurde auch in­so­fern ge­kippt, als das OLG die Pres­se­mit­tei­lung vom 07.11.2007 für un­voll­stän­dig und un­wahr ge­hal­ten hatte und die HRE spä­tes­tens am 15.11.2007 als ver­pflich­tet ansah, die Aus­wir­kun­gen der US-Im­mo­bi­li­en­kri­se auf ihr Port­fo­lio durch eine Ad-Hoc-Mel­dung zu pu­bli­zie­ren. Ein Punkt ging aber auch an die Klä­ger. Die Fest­stel­lung der Vor­der­rich­ter, dass die Ad-Hoc-Mel­dung vom 15.01.2008 nicht un­ver­züg­lich im Sinn des § 15 Abs. 1 WpHG aF ver­öf­fent­licht wurde, weil eine Mit­tei­lungs­pflicht be­reits am 08.01.2008 be­stand und die HRE von der Pflicht zur Ver­öf­fent­li­chung nicht be­freit war, fand die Zu­stim­mung des II. BGH-Zi­vil­se­nats.

Mus­t­er­klä­ger fei­ert sei­nen "Sieg"

Die unter an­de­rem auf Kap­MuG-Fälle spe­zia­li­sier­te An­walts­kanz­lei Tilp aus Kir­chen­tel­lins­furt bei Tü­bin­gen ju­bi­lier­te dar­auf­hin in einer ei­ge­nen Pres­se­er­klä­rung, sie habe damit einen "Mei­len­stein in der Ge­schich­te des deut­schen Ka­pi­tal­markt­rechts" erstrit­ten. In dem Pro­zess hät­ten erst­mals große deut­sche sowie in­ter­na­tio­na­le in­sti­tu­tio­nel­le In­ves­to­ren vor deut­schen Ge­rich­ten gegen eine deut­sche Bank ge­klagt, er­klär­te Rechts­an­walt An­dre­as Tilp: "Der BGH-Be­schluss zeigt, dass An­le­ger, die auf Basis des Kap­MuG kla­gen, deut­lich er­folg­rei­cher sind als in einem nor­ma­len Zi­vil­pro­zess." Dies be­le­ge ent­ge­gen viel­fa­cher Un­ken­ru­fe die Ef­fek­ti­vi­tät und Ef­fi­zi­enz des Kap­MuG. Von der Karls­ru­her Ent­schei­dung seien For­de­run­gen in Höhe von über 1,5 Mil­li­ar­den Euro be­trof­fen - rund 90% davon ent­fie­len dem­nach auf die von sei­ner Kanz­lei ver­tre­te­nen Klä­ger. Zu die­sen ge­hö­re neben dem Mus­t­er­klä­ger, der aus ab­ge­tre­te­nem Recht von über 100 welt­weit an­säs­si­gen in­sti­tu­tio­nel­len In­ves­to­ren klagt, eine Viel­zahl pri­va­ter An­le­ger.

Be­kann­te Namen

Der Rechts­streit ist auch reich an Per­so­na­li­en. So wurde der OLG-Senat von Guido Kot­s­chy ge­lei­tet, der auch bei der schlag­zei­len­träch­ti­gen Ver­ur­tei­lung der Deut­schen Bank im Mil­li­ar­den­streit mit den Erben des Film­mo­guls Leo Kirch den Vor­sitz hatte. Der da­ma­li­ge HRE-Vor­sit­zen­de Georg Funke ist in­zwi­schen ver­stor­ben. Er hat stets alle Vor­wür­fe gegen ihn in einem Straf­ver­fah­ren sowie in einem Re­gress­pro­zess einer HRE-Toch­ter gegen ihn ve­he­ment be­strit­ten. Den deut­schen Steu­er­zah­ler kos­te­te die Fi­nanz­sprit­ze für den Bank­kon­zern rund 15 Mil­li­ar­den Euro. Das ver­staat­lich­te Un­ter­neh­men exis­tiert heute nur noch als "Bad Bank".

BGH, Beschluss vom 17.12.2020 - II ZB 31/14

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 5. Februar 2021.

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