Geschäftsprüfung als Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit?

Der objektive Eindruck entscheidet darüber, ob eine Geschäftsprüfung bei einer Kammer die richterliche Unabhängigkeit gefährdet. Laut Bundesgerichtshof wird die Grenze erst dann überschritten, wenn der Eindruck entsteht, dass auf zukünftige Entscheidungen des Gerichts Einfluss genommen werden soll. Dies gelte auch im Hinblick auf die Art und Weise der Leitung einer Kammer durch den Vorsitzenden.

Urteile verändert?

In einem gegen sie gerichteten Disziplinarverfahren war eine Richterin des Verwaltungsgerichts Leipzig 2012 vom Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Bautzen angehört worden. Aufgrund ihrer Äußerungen kam bei diesem der Verdacht auf, ihr früherer Kammervorsitzender könnte ein von ihr als Einzelrichterin erlassenes Urteil nachträglich verändert haben. Auf seine Anregung hin leitete das Ministerium im Januar 2013 ein Disziplinarverfahren gegen den Vorsitzenden Richter ein. Schon im Dezember hatte die Präsidentin des VG Leipzig dem OVG mitgeteilt, dass über die Geschäftsverteilung in der Kammer ihrer Ansicht nach teilweise regelwidrig vom Vorsitzenden allein entschieden worden sei. Vor diesem Hintergrund erfolgte eine außerordentliche Geschäftsprüfung im Zeitraum von März bis Mai 2013. Das Disziplinarverfahren wurde im Juli eingestellt. Aufgrund des Abschlussberichts der Präsidentin des VG fand aber im letzten Quartal 2013 eine weitere Überprüfung statt. Gegen beide Geschäftsprüfungen erhob der Vorsitzende beim Dienstgericht für Richter des LG Leipzig verschiedene Einwände, so sah er sich unter anderem in seiner richterlichen Unabhängigkeit eingeschränkt. Die Anträge hatten keinen Erfolg. Hieran änderte auch seine Revision beim BGH nichts.  

Keine unzulässige Einflussnahme

Das Dienstgericht des Bundes stellte klar, dass die Dienstaufsicht nicht dazu benutzt werden darf, um zukünftige richterliche Entscheidungen zu lenken. Verboten sei auch "jede psychologische Einflussnahme". Grundsätzlich zulässig seien turnusmäßige – oder auch anlassbezogene – Geschäftsprüfungen, da die Dienstaufsicht die Lage beobachten und gegebenenfalls weitere Maßnahmen ergreifen können müsse. Der objektive Eindruck ist dabei für die Karlsruher Richter das entscheidende Kriterium für die Frage, ob die Grenze zur Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit überschritten ist. Hier sei es lediglich darum gegangen, die Einhaltung von Regeln bei der Führung der Kammer zu überprüfen. Eine Absicht, weitergehend Einfluss auf die Leitung des Spruchkörpers zu nehmen, sei nicht zu erkennen.

BGH, Urteil vom 16.05.2023 - RiZ(R) 1/19

Redaktion beck-aktuell, 9. Juni 2023.