Geringe Anforderungen an Patientenvortrag bei hypothetischer Einwilligung

Beruft sich ein Arzt darauf, dass der Patient auch bei zutreffender Aufklärung in einen Eingriff eingewilligt hätte, trifft ihn die Beweislast selbst dann, wenn der zu Behandelnde vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Laut Bundesgerichtshof dürfen dabei an den Vortrag keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Anderenfalls wären diese überspannt.

Schadensersatz nach ärztlicher Knie-Behandlung

Eine heute 67-jährige Frau verklagte ein Krankenhaus sowie zwei Anästhesisten nach einer missglückten Knie-OP wegen behaupteter Aufklärungsfehler auf Schadensersatz. Die beiden Ärzte waren unter anderem für das Anlegen eines Schmerzkatheters verantwortlich. Dabei wird ein Zugang in der Nähe gelegt, über den gezielt Schmerzmittel verabreicht werden können. Hier wurde ein sogenannter Doppelkatheter gelegt, um alle Nerven im Knie zu betäuben. Bereits unmittelbar nach dem Eingriff litt die Patientin unter Schmerzen und einem Taubheitsgefühl im Fuß sowie Sensibilitätsstörungen in den Zehen des linken Fußes. Es blieben irreparable Nervenschädigungen im linken Unterbein zurück. Die Geschädigte machte geltend, fehlerhaft behandelt und vor der Operation nicht hinreichend über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden zu sein. Das LG Bielefeld wies die Klage ab, nachdem es ein orthopädisch/unfallchirurgisches und ein anästhesiologisches Gutachten eingeholt und die Sachverständige persönlich angehört hatte. Auch beim OLG Hamm scheiterte die Klägerin, da es ihr nicht gelungen sei, einen echten Entscheidungskonflikt darzustellen. Mit der Revision war sie beim BGH hingegen vorerst siegreich.

Entscheidungskonflikt ist klärungsbedürftig

Dem VI. Zivilsenat zufolge hat das OLG die Anforderungen an die plausible Darlegung eines Entscheidungskonflikts überspannt. Denn es habe diese fälschlicher Weise mit der Erwägung verneint, die Angaben der Patientin reichten ersichtlich nicht aus, plausibel zu machen, dass sie sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung gegen einen Doppelkatheter entschieden hätte. Wie auch das OLG erkannt habe, habe es hier mit dem Einsatz eines einfachen Katheters oder sogar normaler Schmerzmedikation risikoärmere – wenn auch weniger wirksame Alternativen gegeben. Die Beweislast treffe dabei den sich auf eine solche hypothetische Einwilligung nach § 630h Abs. 2 Satz 2 BGB berufenden Arzt dann, wenn der Patient plausibel mache, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. An die Substanziierungspflicht des Patienten dürfen laut BGH aber keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Dieser müsse auch nicht plausibel darlegen, er hätte sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden. Die obersten Zivilrichter erteilten den Hinweis, dass das OLG nicht hinreichend in den Blick nehme, dass es um einen echten Entscheidungskonflikt gehe, da das geringere Risiko für Nervenschäden dem Nachteil stärkerer Schmerzen und stärker eingeschränkter Mobilität gegenübergestanden hatte.

BGH, Urteil vom 07.12.2021 - VI ZR 277/19

Redaktion beck-aktuell, 3. Januar 2022.