Gehörsverstoß durch Übergehen eines zentralen Vortrags

Übergeht ein Gericht den Tatsachenvortrag zu einer Frage von zentraler Bedeutung und setzt sich damit nicht auseinander, verletzt dies den Anspruch auf rechtliches Gehör. Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 13.10.2020 erneut hingewiesen.

Behandlung im Krankenhaus wegen Herzproblemen

Eine Patientin verlangte in einem Arzthaftungsprozess Schadensersatz wegen behaupteter fehlerhafter Versorgung eines akuten Koronarsyndroms. Die Frau wurde am 06.11.2013 wegen Rücken- und Leistenbeschwerden stationär in ein Krankenhaus aufgenommen. In der Nacht vom 09. auf den 10.11.2013 klagte sie über Brustschmerzen mit Engegefühl und Übelkeit. Es lag eine lebensbedrohliche Durchblutungsstörung vor, die Herzkranke erhielt vom Pflegepersonal Nitrospray. Im Lauf des Tages erfolgten verschiedene Untersuchungen, ein EKG sowie eine Blutentnahme, die einen erhöhten Troponinwert – ein Indikator für einen Herzinfarkt – ergab. Am späten Mittag wurde sie in die Kardiologie verlegt. Es folgten ein weiteres EKG und eine Herzkatheteruntersuchung. In der darauffolgenden Nacht hatte sie wieder starke Brustschmerzen und erhielt erneut Nitrospray.

Berufungsgericht übergeht Vorbringen einer Patientin

Die Kranke machte geltend, sie habe durch zwei nicht ausreichend behandelte Herzinfarkte im Krankenhaus eine Herzschwäche erlitten, die sie zuvor nicht gehabt habe. Das LG Lüneburg wies die Klage – sachverständig beraten – ab. Die dagegen gerichtete Berufung wies das OLG Celle – nach erneuter Anhörung der Frau – zurück: Zwar habe schon das Landgericht Behandlungsfehler festgestellt, aber der Sachverständige habe überzeugend erklärt, dass es "gänzlich unwahrscheinlich" sei, dass die Herzschwäche hierauf zurückzuführen sei. Auch bei den gebotenen früheren Befunderhebungen hätte sich kein anderer Therapieverlauf ergeben. Dies stimme zudem mit dem Ergebnis der Begutachtung durch die ärztliche Schlichtungsstelle überein.

BGH: Anspruch auf rechtliches Gehör wurde verletzt

Die Nichtzulassungsbeschwerde war vor dem BGH teilweise erfolgreich. Die Bundesrichter hielten dem OLG Celle vor, unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG den Kern des Vorbringens der Patientin, bei richtiger Behandlung hätte der Gefäßverschluss schneller geöffnet und die Folgen für sie hätten dadurch abgemildert werden können, übergangen zu haben. Der Sachverständige selbst habe darauf hingewiesen, dass schon in der ersten Nacht aufgrund der Schmerzen ein EKG hätte angelegt werden müssen, was  zu einer früheren Entdeckung des Infarkts hätte führen können. Diesen Vortrag habe sich die Patientin zu Eigen gemacht.

Vortag der Klägerin deutete auf Widerspruch zwischen Gutachten und Auslegung durch Gericht hin

Dem BGH zufolge setzt sich das OLG bei der Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen mit der Frage, ob eine Mitursächlichkeit des – unterstellten – groben Fehlers nicht äußerst unwahrscheinlich sei, mit dem gerügten zentralen Vortrag der Frau nicht auseinander. Hätte das Oberlandesgericht diesen zur Kenntnis genommen, hätte es merken müssen, dass die eigene Lesart des Gutachtens – der Gefäßverschluss hätte durch ein EKG sowieso nicht entdeckt werden können – zu den Ausführungen des Sachverständigen im Widerspruch stand. In diesem Punkt gebe es auch eine ungeklärte Abweichung zum Ergebnis der Schlichtungsstelle, wonach der Infarkt auf dem EKG tatsächlich nicht zu sehen gewesen wäre.

BGH, Beschluss vom 13.10.2020 - VI ZR 348/20

Redaktion beck-aktuell, 19. November 2020.