Gehörsverstoß bei Nichtaufklärung möglichen Entscheidungskonflikts

Der Tatrichter muss einen Patienten grundsätzlich persönlich darüber anhören, wie er sich bei ausreichender Aufklärung über einen Eingriff entschieden hätte, und ob er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Andernfalls liegt laut Bundesgerichtshof in der Regel ein Gehörsverstoß vor. Das Gericht solle durch die persönliche Anhörung die Motive des Patienten konkret verstehen und sich einen persönlichen Eindruck von ihm verschaffen können.

Hypothetische Einwilligung in PRK-Laser-Behandlung?

Ein Patient machte gegen seinen Augenarzt Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld nach zwei Laser-Behandlungen an den Augen geltend. Der Mann hatte sich bei dem Arzt Ende 2016 für die Durchführung einer LASIK-Behandlung wegen Kurzsichtigkeit vorgestellt, bei der mithilfe eines Lasers gezielt Gewebe im Inneren der Augenhornhaut abgetragen wird. Nachdem ihn der Mediziner über die Risiken aufgeklärt hatte, führte dieser den Eingriff im Februar 2017 in Vollnarkose durch. Dabei kam es zu einem Kneifen des Auges, sodass der Laserschnitt verrutschte. Der Arzt brach die Behandlung ab und wählte anstatt dessen die sogenannte photoreaktive EXCIMER-Laserbehandlung (PRK), bei der feine Hornhautschichten an der Oberfläche abgetragen werden. Auch am linken Auge machte er von dieser Methode Gebrauch. Über die Risiken dieser zweiten Operationstechnik war der Kläger nicht aufgeklärt worden. Im August 2017 führte der Facharzt, erneut in Vollnarkose, an dessen rechtem Auge eine Revisions-PRK durch. Der Mann gab an, weiter an Sehstörungen und Augentrockenheit zu leiden, was er auf die Behandlung zurückführte. Seine Klage scheiterte sowohl beim Landgericht Potsdam als auch beim Oberlandesgericht Brandenburg. Der Behandelnde könne sich auf eine hypothetische Einwilligung seines Patienten berufen, weil dieser einen Entscheidungskonflikt bereits in seinen Schriftsätzen nicht plausibel dargelegt habe. Seine Anhörung sei daher nicht erforderlich gewesen. Dagegen erhob dieser die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH – mit Erfolg.

Grundsätzliche Anhörungspflicht bei streitiger Entscheidungssituation

Der VI. Zivilsenat zufolge verletzt die Annahme des OLG, dem Patienten stehe kein Anspruch aus Verletzung der Aufklärungspflicht zu, ihn in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG. Die brandenburgischen Kollegen hätten nicht von der Anhörung des Klägers über das Bestehen eines möglichen Entscheidungskonflikts absehen dürfen. Den Arzt treffe für seine Behauptung, der Patient hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt (§ 630h Abs. 2 Satz 2 BGB), die Beweislast erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel mache, dass er vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. An seine Darlegung eines solchen Konflikts seien keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation des zu Behandelnden ohne dessen Anhörung war hier schon deshalb nicht möglich, weil die äußeren Umstände der Aufklärung und seiner tatsächlichen Entscheidungssituation streitig geblieben seien, so die Kritik aus Karlsruhe. So habe das OLG den Inhalt der gebotenen, insbesondere vollständigen Aufklärung nicht definiert. Der BGH verwies die Sache daher an das OLG zur weiteren Prüfung zurück.

BGH, Beschluss vom 21.06.2022 - VI ZR 310/21

Redaktion beck-aktuell, 25. Juli 2022.