Gehörsverstoß bei Ausurteilung von bislang nicht einbezogenen Forderungen

Spricht das Berufungsgericht dem Kläger mehr zu als von diesem beantragt, liegt darin regelmäßig eine Gehörsverletzung des Beklagten. Zwar darf es laut Bundesgerichtshof einzelne, unselbstständige Posten im Rahmen einer Gesamtforderung der Höhe nach verschieben und dabei sogar über das Geforderte hinausgehen. In der Klageforderung nicht enthaltene Positionen dürfe es jedoch nicht auf eigene Faust berücksichtigen. Sie seien kein Streitgegenstand.

Schadensersatz für Handwerkerarbeiten

Mehrere Erben verlangten von einem Handwerksbetrieb Schadensersatz von 121.098 Euro für Zahlungen, die von der ursprünglichen Klägerin für angeblich fehlerhaft durchgeführte Arbeiten geleistet wurden. Der Betrag setzte sich zusammen aus einer Rückforderung von 118.500 Euro, Gutachterkosten von 905 Euro, Reparaturkosten für eine Abwasserleitung von 1.381,20 Euro sowie 312 Euro für die Eintragung einer Zwangshypothek. Während die Klage beim LG Lübeck scheiterte, verurteilte das OLG Schleswig die Firma, 106.438 Euro an die Kläger zu entrichten. Darunter waren auch 23.350 Euro, welche diese gar nicht beantragt hatten. Mit dem Geld sollte die mangelhafte Leistung am Dach beseitigt werden. Es sei laut OLG unschädlich, dass die Erben den Betrag bislang nicht in ihre Schadensberechnung einbezogen hätten. Dem Kläger würde nicht mehr als beantragt zuerkannt, wenn ihm für einzelne Positionen mehr, für andere weniger zugesprochen werde, solange die Gesamtsumme nicht überschritten werde. Die Revision ließ das OLG nicht zu. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Betriebs hatte teilweise Erfolg.

Kosten für Dachdeckerarbeiten sind nicht Streitgegenstand geworden

Der BGH verwies die Sache an das OLG zurück. Aus seiner Sicht verstieß es, soweit es den Klägern für die Beseitigung der Dachschäden einen bisher nicht von diesen beantragten Schadensersatzbetrag von 23.350 Euro zusprach, gegen § 308 Abs. 1 ZPO (Bindung an die Parteianträge) und verletzte dadurch den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Zwar dürfe das Gericht bei einem einheitlichen Streitgegenstand grundsätzlich die einzelnen (unselbstständigen) Posten der Höhe nach verschieben und dabei hinsichtlich einzelner Rechnungsposten sogar über das Geforderte hinausgehen. Allerdings führten die Kläger den Betrag für die Dacherneuerung nicht in der Klageschrift zur Begründung der Klageforderung an. Deshalb sind die Kosten, von denen das OLG bei seiner Schadensberechnung ausgeht, dem VI. Zivilsenat zufolge nicht streitgegenständlich geworden. Die Kläger hätten selbst mitgeteilt, dass zu weiteren Sanierungsarbeiten bislang nur Kostenvoranschläge vorlägen, die noch näher überprüft werden müssten. Eine Kostenschätzung über 37.795 Euro sei als Anlagenkonvolut lediglich "zur Kenntnisnahme" überreicht worden. Für bestimmte Einzelpositionen hätten die Erben angekündigt, es sei von einer "noch notwendig werdenden Klageerweiterung auszugehen". Eine solche sei aber nicht erfolgt. Am Ergebnis ändere auch die Tatsache nichts, dass das LG über die Frage, ob die Mängel der Dacharbeiten so gravierend seien, dass diese wertlos seien und komplett erneuert werden müssten, Beweis erhoben habe.

BGH, Beschluss vom 24.05.2022 - VI ZR 304/21

Redaktion beck-aktuell, 12. Juli 2022.