Gehörsverletzung durch fehlende Auslegung des Beweisangebots

Lässt ein Gericht das Gutachtensangebot einer Partei lediglich aufgrund einer falsch vorgeschlagenen Untersuchungsmethode unberücksichtigt, ist diese dadurch in ihrem rechtlichen Gehör verletzt. Zwar wäre eine grafologische Untersuchung laut Bundesgerichtshof offensichtlich nicht zur Bestimmung des Zeitpunkts einer Unterschriftenleistung geeignet. Allerdings könne mittels einer physikalisch-chemischen Untersuchung der verwendeten Tinte ihr Alter ermittelt werden.

Streit um Unterschrift unter Darlehensvertrag

Ein Mann verlangte von seinem Bruder die Rückzahlung eines privaten Darlehens von 45.000 Euro nebst Zinsen. Die beiden hatten den Vertrag nach seiner Behauptung 2010 im Büro des Beklagten geschlossen. Der Kläger teilte mit, ein Zeuge habe sich währenddessen vor der offenen Tür aufgehalten. Der Bruder erkannte lediglich die Unterschrift unter dem Schriftstück als seine eigene an. Er bestritt die Echtheit des über seiner Unterschrift stehenden Textes und dessen inhaltliche Richtigkeit und unterstellte dem Kläger Blankettmissbrauch. Zum Beweis seiner Behauptung, dass seine Unterschrift erst im Jahr 2018 geleistet worden sei, hatte er erfolglos angeboten, ein "grafologisches Gutachten" einzuholen. Das Landgericht Braunschweig gab der Klage nach Vernehmung des Zeugen statt. Auch beim Oberlandesgericht Braunschweig bekam der Darlehensgeber größtenteils (bis auf einen Teil der Zinsen) nach persönlicher Anhörung des beklagten Angehörigen Recht, da ein grafologisches Gutachten offensichtlich ungeeignet sei, um zu klären, ob die Unterschriften im Abstand von acht Jahren geleistet worden waren. Die Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH hatte zunächst Erfolg.

Äußerste Zurückhaltung bei Zurückweisung eines Beweisantrags

Den IX. Zivilsenat zufolge verletzt das Urteil des OLG den Schuldner in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Braunschweiger Richter hätten die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistungen nicht wegen Ungeeignetheit des Beweismittels ablehnen dürfen. Eine Zurückweisung komme nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheine, dass die Beweiserhebung sachdienliche Erkenntnisse erbringen könne. Zwar wäre ein grafologisches Gutachten laut BGH offensichtlich nicht zur Bestimmung des Zeitpunkts einer Unterschriftenleistung geeignet. Allerdings sei nicht völlig ausgeschlossen, dass mittels einer physikalischen oder chemischen Untersuchung der zur Unterschriftsleistung verwendeten Tinte eine Bestimmung des Alters der Unterschriftsleistung möglich wäre. Die Benennung einer bestimmten Untersuchungsmethode, um das offenkundig gewollte Ziel zu erreichen, sei nicht notwendig. Für den Fall, dass dadurch das vom Bruder behauptete zeitliche Auseinanderfallen der Unterschriftsleistungen der Parteien nachgewiesen werden könnte, wäre dem BGH zufolge ebenfalls nicht ausgeschlossen, dass ihm der nach §§ 440 Abs. 2, 292 Satz 1 ZPO zur Widerlegung der Echtheitsvermutung des Darlehensvertrags erforderliche Beweis des Gegenteils gelingen würde. Der BGH verwies die Sache daher an das OLG zurück.

BGH, Beschluss vom 02.11.2021 - IX ZR 39/20

Redaktion beck-aktuell, 8. Dezember 2021.