Kein Vertrauen auf späteren Ablauf einer Begründungsfrist

Bleibt die gewährte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hinter dem Antrag eines Rechtsanwalts zurück, darf dieser nicht darauf vertrauen, dass die Frist erst später abläuft. Vielmehr ist dem Bundesgerichtshof zufolge von einem ordentlichen und gewissenhaften Juristen zu erwarten, dass er eine solche Mitteilung zur Kenntnis nimmt und sich auf den daraus ersichtlichen Zeitraum einstellt.

Nur der erste Antrag ging durch

Ein Erbe machte Schadensersatzansprüche wegen angeblicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler gegenüber seiner verstorbenen Frau geltend. Das LG Hagen wies die Klage ab. Das Urteil wurde seinem Anwalt am 21.01.2021 zugestellt. Dagegen legte dieser rechtzeitig Berufung ein. Auf seinen Verlängerungsantrag vom 22.03.2021 verlängerte das OLG Hamm die Begründungsfrist bis zum 21.04.2021. Am Tag darauf beantragte er, die Frist um einen weiteren Monat zu verlängern. Ohne Erfolg, denn der Antrag sei erst nach Ablauf der verlängerten Begründungsfrist eingegangen, so der Vorsitzende des Berufungssenats. Daraufhin beantragte der Kläger die Wiedereinsetzung. Hinsichtlich der Verlängerung (nur) bis zum 21.04.2021 sei von einem zu korrigierenden Schreibfehler auszugehen. Da die Frist ohne Verlängerung erst am 22.03.2021, einem Montag, abgelaufen wäre, hätte sie bis zum 22.04.2021 verlängert werden müssen. Doch auch dieses Begehren lehnte das OLG ab und verwarf die Berufung als unzulässig.

Jurist muss sich auf die kürzere Frist einstellen

Die Rechtsbeschwerde hiergegen vor dem BGH hatte ebenfalls keinen Erfolg. Dem VI. Zivilsenat zufolge ist der Kläger nicht in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das OLG sei zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass der dort am 22.04.2021 eingegangene Antrag auf erneute Verlängerung der Begründungsfrist nicht innerhalb des bis zum 21.04.2021 verlängerten Zeitraums und damit nicht rechtzeitig eingegangen sei. Ein bloßes Schreibversehen lasse sich nicht feststellen. Ein Rechtsanwalt, dem eine gerichtliche Verfügung über die Verlängerung einer Frist bis zu einem bestimmten Datum vorliege, darf dem Karlsruher Entscheid zufolge nicht einfach davon ausgehen, das Enddatum beruhe auf einem Irrtum des Vorsitzenden, stelle eine offenbare Unrichtigkeit dar und laufe deshalb um einen Tag länger als aus der Verfügung ersichtlich. Vielmehr sei von einem ordentlichen und gewissenhaften Juristen zu erwarten, dass er sich auf die kürzer als beantragt verlängerte Frist einstellt oder sich rechtzeitig vor deren Ende an das Berufungsgericht mit der Bitte um Klarstellung und gegebenenfalls eine weitere Verlängerung wendet. Gehe ihm – wie hier – rechtzeitig vor Ablauf der verlängerten Frist eine Mitteilung des Gerichts zu, aus der sich deren Ende ohne Weiteres entnehmen lasse, sei eine Grundlage für sein Vertrauen, sie laufe erst später ab, nicht erkennbar.

BGH, Beschluss vom 27.09.2022 - VI ZB 66/21

Redaktion beck-aktuell, 8. November 2022.