Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit bei Suizidgefahr
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Äußert ein psychisch kranker Mieter für den Fall einer Räumung eine konkrete Suizidabsicht, muss das Mietverhältnis bei Fehlen zumutbarer Alternativen auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden. Dabei ist laut Bundesgerichtshof im Einzelfall zu klären, ob sich die Folgen eines Umzugs durch familiäre oder ärztliche Hilfe mindern lassen. Lehne der Mieter eine Therapie mangels krankheitsbedingter Einsichtsfähigkeit oder eine Ersatzwohnung ab, führe dies aber nicht zwangsweise zur Ablehnung eines Härtefalls.

Rentnerin wurde 40 Jahre nach Einzug die Wohnung gekündigt

Eine heute 80-jährige Mieterin wohnte seit 1977 in ihrer Kölner Zwei-Zimmer-Wohnung. Im April 2017 kündigte ihr der Vermieter zum 31.12.2017 wegen Eigenbedarfs. Diesen begründete er damit, dass er die Wohnung für sich und seinen 75-jährigen Lebenspartner benötige. Die Beklagte widersprach der Kündigung Ende Oktober 2017 und machte Härtegründe geltend. Sie leide unter anderem an schwerer rezidivierender Depression und Suizidideen. Das Angebot des Klägers, eine Ersatzwohnung im selben Haus zu beziehen, schlug die Frau aus. Daraufhin reichte der Vermieter Räumungsklage ein.

Kölner Vorinstanzen: Schwere psychische Beeinträchtigungen stehen Räumung entgegen

Sowohl das Amtsgericht (IMR 2020, 370) als auch Landgericht Köln wiesen die Klage ab und ordneten die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach §§ 574, 574a Abs. 2 Satz 2 BGB auf unbestimmte Zeit an – jeweils unter Erhöhung der Nettokaltmiete – auf monatlich 367 Euro (AG) beziehungsweise 518 Euro (LG). Die Beendigung des Mietverhältnisses würde für die Mieterin eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten. Zu Recht sei das AG unter anderem auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, dass die Suizidgefahr bei ihr bei einer Verurteilung zur Räumung sehr stark ausgeprägt sei. Aufgrund der völligen Fixierung auf ihre Bleibe sei es ihr auch nicht möglich gewesen, die ihr angebotene Ersatzwohnung anzunehmen. Dagegen legte der Kläger beim BGH Revision ein – ohne Erfolg.

Ablehnung einer Therapie führt nicht zwangsweise zu Ablehnung eines Härtefalls

Der VIII. Zivilsenat stimmte dem LG Köln zu. Das Vorliegen einer Härte nach § 574 Abs. 1 BGB sei nicht bereits deshalb zu verneinen, weil die Beklagte eine stationäre Therapie abgelehnt habe. Denn die Schutzbedürftigkeit eines Mieters entfällt dem BGH zufolge nicht allein dadurch, dass er an der Behandlung seiner psychischen Erkrankung, aus der eine Suizidgefahr resultiert, nicht mitwirkt. Völlig ausreichend für die Annahme einer Härte sei die vom LG auf Grundlage einer umfassenden Begutachtung und Zeugenvernehmung getroffene Feststellung, dass bei der Mieterin eine sehr hohe Suizidgefahr bestanden und sie eine stationäre Therapie krankheitsbedingt wegen ihrer völligen Fixierung auf die Wohnung abgelehnt habe. Dabei sei unerheblich, dass die Suizidgefahr für sie überhaupt nicht beherrschbar sei und ihr krankheitsbedingt jegliche Einsicht darin fehle, dass sie einer Therapie bedürfe.

Schematische Beurteilung bei der Interessenabwägung verbietet sich

Auch der Umstand, dass die Beklagte krankheitsbedingt in der Ersatzwohnung keine Alternative und damit keine Lösung für die aus ihrer Sicht ausweglosen Situation gefunden hätte, stehe – wie vom LG zu Recht festgestellt – einer Härte nicht entgegen. Im Rahmen der Interessenabwägung verbiete sich vor allem eine schematische Beurteilung dahingehend, dass die Ablehnung einer Ersatzwohnung stets zugunsten des Vermieters zu berücksichtigen sei und dazu führe, dass der Mieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht verlangen könne.

BGH, Urteil vom 26.10.2022 - VIII ZR 390/21

Redaktion beck-aktuell, 23. November 2022.