Flugreisende hatten 2020 einen Flug von Reykjavik nach München geplant, doch eine Blizzardwarnung auf Island machte den Start unmöglich. Die Fluggastbrücken waren gesperrt, der Flug fiel aus. Die Passagiere erreichten ihr Ziel mit einem Ersatzflug erst drei Tage später, am 10. statt wie ursprünglich geplant am 7. Januar. Ein Fluggastrechteunternehmen, an das sie ihre Rechte abgetreten haben, machte geltend, es hätte bereits am 9. Januar ein Ersatzflug zur Verfügung gestanden, und machte aus abgetretenem Recht eine Ausgleichszahlung in Höhe von 800 Euro nach der Fluggastrechteverordnung gegen den Konzern geltend.
Die Vorinstanzen waren sich einig: Die Fluggesellschaft könne sich wegen der außergewöhnlichen Umstände nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO vom Entschädigungsanspruch befreien, weil es alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe. Die Annullierung sei auf außergewöhnliche Umstände zurückgegangen und die Airline hätte diese auch nicht vermeiden können. Zwar fordere der EuGH von den Airlines, dass Fluggäste bei annullierten Flügen die früheste Umbuchungsmöglichkeit erhalten müssen. Doch auf Umbuchungsmöglichkeiten, mit denen weder die Annullierung des Flugs noch eine Verspätung von mindestens drei Stunden vermieden werden könnten, müsse die Fluggesellschaft dabei nicht ausweichen. Der X. Zivilsenat des BGH (Urteil vom 10.10.2023 – X ZR 123/22) hat das Urteil des LG jetzt kassiert.
BGH: Verbraucherfreundliche Rechtsprechung des EuGH ignoriert
Entgegen dessen Auffassung kommen, so der Reisesenat, als zumutbare Maßnahmen nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO nicht nur Ersatzbeförderungen in Betracht, mit denen die Verspätung am Endziel auf weniger als drei Stunden begrenzt werden kann. Die Airline müsse sich vielmehr auch und gerade dann um schnellstmöglichen Ersatz bemühen, wenn sich eine Ankunftsverspätung von mindestens drei Stunden nicht vermeiden lasse. Die Unannehmlichkeiten, vor allem der Zeitverlust von mindestens drei Stunden, für die der Entschädigungsanspruch Flugreisende entschädigen soll, nähmen schließlich mit zunehmender Verspätung eher zu als ab.
Der BGH schließt sich damit der Rechtsprechung des EuGH an, der bereits klargestellt hat, dass die Fluggesellschaften dafür sorgen müssen, dass Passagiere bei annullierten Flügen die frühestmögliche Ersatzbeförderung erhalten. Dabei müssten die Unternehmen prüfen, ob eigene, aber auch fremde Direktverbindungen oder Umsteigeverbindungen die Gäste früher an ihr Ziel bringen. Auch für die Zeit außerhalb der Drei-Stunden-Grenze sei die Prüfung der frühestmöglichen Ersatzbeförderung eine zumutbare Maßnahme.
Da die Landshuter Richterinnen und Richter nur dürftig auf den Gesichtspunkt der zumutbaren Maßnahmen eingegangen sind, verwies der BGH die Sache ans LG zurück. Die Airline müsse nun vortragen, welche Möglichkeiten einer Ersatzbeförderung bestanden und welche Maßnahmen sie ergriffen habe.