"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden
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Der unter anderem für den Immobilienkauf zuständige Fünfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass ein kaufvertraglicher Anspruch auf Schadensersatz wegen Mängeln der erworbenen Immobilie weiterhin anhand der voraussichtlich entstehenden, aber bislang nicht aufgewendeten ("fiktiven") Mängelbeseitigungskosten berechnet werden kann. Käufer müssen also auch weiter nicht mit hohen Summen für eine Reparatur in Vorleistung treten.

Verkäufer einer Wohnung verweigert Mängelbeseitigung

Die Kläger erwarben von dem Beklagten 2014 eine Eigentumswohnung Euro unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. Laut Kaufvertrag war es dem Verkäufer bekannt, dass es in der Vergangenheit an der Schlafzimmerwand Feuchtigkeit gab. Sollte diese bis zum 31.12.2015 erneut auftreten, verpflichte sich der Verkäufer, diese auf eigene Kosten zu beheben. Nach Übergabe der Wohnung trat Ende 2014 tatsächlich erneut Feuchtigkeit in dem Schlafzimmer auf, zu deren Beseitigung die Kläger den Beklagten erfolglos unter Fristsetzung aufforderten. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ermächtigte die Kläger durch Beschluss auch insoweit zur Behebung der Schäden, als das Gemeinschaftseigentum betroffen ist.

BGH: "Fiktive" Mängelbeseitigungskosten im Kaufrecht anerkannt

Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten - soweit im Revisionsverfahren von Interesse - die Zahlung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von 7.972,68 Euro sowie vorgerichtliche Anwaltskosten. Ferner soll festgestellt werden, dass der Beklagte weitere Schäden ersetzen muss. Die Kläger hatten in allen Instanzen Erfolg. Die von dem Berufungsgericht vorgenommene Bemessung des kaufvertraglichen Schadensersatzes statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 280, 281 Abs. 1 BGB entspreche der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, entschieden die Karlsruher Richter. Danach könne der Käufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen, wobei es unerheblich sei, ob der Mangel tatsächlich beseitigt werde.

Unterschiede zu Ansicht des VII. Senats im Werkvertragsrecht

Mit Spannung erwartet wurde die Entscheidung, weil der VII. Zivilsenat für den werkvertraglichen Anspruch auf kleinen Schadensersatz gemäß §§ 634 Nr. 4, 280281 Abs. 1 BGB seine langjährige Rechtsprechung, nach der die Schadensbemessung anhand der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten zulässig war, inzwischen aufgegeben hat. Dies lasse sich auf die kaufrechtliche Sachmängelhaftung jedoch nicht übertragen, so die Richter des V. Senats. Insbesondere stehe dem Käufer - anders als dem Besteller im Werkvertragsrecht - kein Vorschussanspruch zu. Es wäre aber nicht vertretbar, wenn der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsste. Eine Ausnahme gelte nur im Hinblick auf die Umsatzsteuer, die - wie im Delikts- und Werkvertragsrecht - nur ersetzt werden müsse, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen sei.

Keine Vorlage an den Großen Senat wegen Divergenz

Im Übrigen sei eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 GVG nicht mehr erforderlich, nachdem der VII. Zivilsenat auf Anfrage die Begründung seiner Rechtsprechungsänderung im Hinblick auf die Verankerung im Werk- und Architektenvertragsrecht vertieft und ergänzt habe. Insbesondere sei klargestellt worden, dass ein zweckgebundener und abzurechnender Vorfinanzierungsanspruch nicht aus dem allgemeinen Schadensersatzrecht hergeleitet werden könne. Ebenso wenig bedürfe es einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 4 GVG. Denn die von dem VII. Zivilsenat vorgenommene Bemessung des kleinen Schadensersatzes statt der Leistung sei angesichts der präzisierten und klarer konturierten werkvertraglichen Verankerung nicht auf andere Vertragstypen des besonderen Schuldrechts übertragbar. 

Fallkonstellation für Relevanz unterschiedlicher Behandlung von Kauf- und Werkverträgen

Bei dem Erwerb gebrauchter Immobilien seien die praktischen Unterschiede zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht im Regelfall gering. Denn bei Mängeln, mit denen der Immobilienkäufer nicht oder jedenfalls deutlich schlechter "leben" könne als mit der mangelfreien Immobilie, halte der VII. Zivilsenat, wie er ausdrücklich klargestellt habe, die Schätzung des mangelbedingten Minderwerts anhand der Mängelbeseitigungskosten weiterhin für zulässig. Infolgedessen müssten in solchen Fällen - jedenfalls im Ergebnis - die noch nicht angefallenen Mängelbeseitigungskosten unabhängig von der Rechtsnatur des Vertrags ersetzt werden. Die Einordnung des Vertrags in das Kauf- oder in das Werkvertragsrecht wirke sich künftig vornehmlich in denjenigen Fallgestaltungen aus, in denen die Mängelbeseitigungskosten den mangelbedingten Minderwert erheblich überschreiten. Gerade in solchen Fallkonstellationen gebe es für eine unterschiedliche Behandlung von Kauf- und Werkverträgen jedoch triftige Gründe, die bereits der VII. Zivilsenat in seinem Beschluss vom 08.10.2020 eingehend und zutreffend aufgezeigt habe.

BGH, Urteil vom 12.03.2021 - V ZR 33/19

Redaktion beck-aktuell, 12. März 2021.