Feststellungsinteresse zur Herstellerhaftung im Dieselskandal

Der Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs hat nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs ein Interesse an der Feststellung, dass der Hersteller Schadensersatz schuldet, wenn auf dessen Veranlassung nachträglich ein möglicherweise vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandetes Thermofenster installiert wird. Auf die Funktionsweise der Abschalteinrichtung kommt es dabei ebenso wenig an wie auf die tatsächlich vom Bundesamt getroffenen Maßnahmen.

Software-Update mit Thermofenster

Die Klägerin und ihr Ehemann kauften vor mehr als zehn Jahren einen gebrauchten VW Touran mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189, dessen Steuerungssoftware eine vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als unzulässige Abschalteinrichtung bewertete und beanstandete Umschaltlogik vorsah. Die Software wurde später einem vom KBA freigegebenen Update unterzogen. Die Klägerin hat Volkswagen wegen der Umschaltlogik auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Im ersten Rechtszug hat sie zudem die Feststellung einer Verpflichtung des Wolfsburger Autobauer begehrt, ihr diejenigen Schäden zu ersetzen, die aus der Manipulation ihres Fahrzeugs folgten. Beim Landgericht hatte sie damit Erfolg, das OLG hielt den Feststellungsantrag hingegen für unzulässig. Der Bundesgerichtshof sah die Sache anders als das Berufungsgericht und gab ihm statt.

Weitere Schäden nicht ausgeschlossen

In den Urteilsgründen weist der BGH unter Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung darauf hin, dass ein Feststellungsinteresse nicht damit begründet werden kann, dass der Kläger sich die Wahl zwischen großem und kleinem Schadensersatz offenhalten möchte. Allerdings könne diese Wahl auch noch im dritten Rechtszug getroffen werden. Für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage komme es zudem nicht auf eine Wahrscheinlichkeit weiterer Schäden an. Die bloße Möglichkeit reiche aus. Und dies sei bei einem Software-Update zur Steuerung eines Dieselmotors der Baureihe EA 189 auch mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH offensichtlich der Fall. Sowohl behördliche Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Thermofenster als auch hieraus folgende, weitere Vermögensschäden etwa in Form von Stilllegungskosten könnten nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Auf die Funktionsweise der Abschalteinrichtung komme es dabei ebenso wenig an wie auf die tatsächlich vom Kraftfahrt-Bundesamt mit Rücksicht auf das Thermofenster getroffenen Maßnahmen.

Diesel-Verfahren nach dem EuGH-Urteil

In Kürze will der BGH weitere wichtige Weichenstellungen in Diesel-Fällen vornehmen. Am 8.5. verhandelt er in mehreren Verfahren, die im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 21.3. dieses Jahres ausgesetzt waren. Darin hatten die Luxemburger Richter entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BGH in den europäischen Regelungen zur Typgenehmigung einen Schutz der „Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller“ gesehen. Mehr noch: Der EuGH dem Europarecht sogar einen Anspruch auf Schadensersatz des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs gegen den Hersteller. Damit griff der EuGH tief in die deliktsrechtliche Autonomie der Mitgliedstaaten ein und postulierte selbst eine europarechtliche Schadensersatzhaftung. Dem BGH obliegt nun die Umsetzung der Luxemburger Vorgaben in das deutsche Haftungsrecht.

BGH, Urteil vom 06.02.2023 - VIa ZR 419/21

Redaktion beck-aktuell, 27. April 2023.