Fehlerhafter Wiedereinsetzungsantrag im Strafrecht

Die Kenntnis des Angeklagten, nicht die seines Verteidigers, entscheidet darüber, wann die Wochenfrist für einen Wiedereinsetzungsantrag zu laufen beginnt. Dies gilt selbst dann, wenn ursprünglich ein Fehler des Verteidigers vorlag, wie der Bundesgerichtshof bestätigte. Ergänzende Ausführungen dazu, wann der Angeklagte von dem Problem erfahren haben soll, müssten noch innerhalb der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag erfolgen.

Problembehaftetes Verfahren

Ein Angeklagter wollte eine vom LG Essen in der Berufungsinstanz verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen schwerer Körperverletzung nicht akzeptieren. Das Urteil war in seiner Anwesenheit am 23.05.2022 verkündet worden. Mangels Revisionseinlegung verfügte der Vorsitzende der Strafkammer am 22.06.2022 die Versendung der Entscheidung mit Rechtskraftvermerk an Mandant und Anwalt. Erst daraufhin erhob der Jurist am 07.07.2022 das Rechtsmittel. Er beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung und gab an, dass die nicht erfolgte Einlegung auf seinem Verschulden beruhe. Er habe erst am 07.07.2022 "Kenntnis vom übersandten Urteil mit Rechtskraftvermerk erhalten", wodurch der Fehler aufgefallen sei. Ende September ergänzte der Verteidiger seine Angaben dahingehend, dass sein Mandant erst am 08.07.2022 von der Nichteinlegung der Revision erfahren habe. Der BGH verwarf die Revision als unzulässig.

Kenntnis des Angeklagten

Der 4. Strafsenat entschied, dass nicht rechtzeitig mitgeteilt worden war, wann der Angeklagte selbst von der Problematik erfahren hatte. Für die Berechnung der Wochenfrist nach § 45 Abs. 1 StPO für den Wiedereinsetzungsantrag komme es allein auf die Kenntnis des Mandanten vom Wegfall des Hindernisses, hier von der unterbliebenen Einlegung, an. Der BGH schloss sich den Ausführungen der Bundesanwaltschaft an. Diese hatte folgende Rechnung aufgemacht: Die Verfügung des Vorsitzenden vom 22.06.2022 sei laut Akte am 28.06.2022 ausgeführt worden. Bei Annahme einer "üblichen Postlaufzeit von einem Werktag" hätte der Angeklagte die Entscheidung mit Rechtskraftvermerk am 29.06.2022 in den Händen halten können. Damit wäre der Antrag am 07.07.2022 nicht mehr rechtzeitig erfolgt. Die vom Verteidiger gewählte Formulierung, er habe erst an diesem Tag "Kenntnis erhalten", ändere daran nichts: Weder bedeute sie, dass der Mandant das Schreiben ähnlich spät erhalten habe, noch, dass es dem Rechtsanwalt erst dann zugegangen sei. Der Senat wies ergänzend darauf hin, dass die Angaben zum Wissensstand des Klienten innerhalb der Antragsfrist hätten gemacht werden müssen. Im September konnten sie nicht mehr nachgeholt werden.

BGH, Beschluss vom 12.10.2022 - 4 StR 319/22

Redaktion beck-aktuell, 10. November 2022.