Familiengerichte können Corona-Maßnahmen an Schulen nicht kippen
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Familiengerichte sind nicht befugt, zur Durchsetzung des Kindeswohls Anordnungen gegenüber schulischen Behörden zu erlassen. Dies hat der Bundesgerichtshof klargestellt. Die gerichtliche Kontrolle in diesem Bereich obliege allein den Verwaltungsgerichten. Eine Mutter hatte per familiengerichtlicher Anordnung durchsetzen wollen, dass sich ihre Tochter nicht an die Corona-Maßnahmen in der Schule halten muss.

Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sollte ausgesetzt werden

Mit einem an das Familiengericht gerichteten Schreiben hatte die Beteiligte im zugrundeliegenden Fall darum nachgesucht, ein Verfahren nach § 1666 BGB zu eröffnen und gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung der von ihrer 15-jährigen Tochter besuchten Gesamtschule einstweilig anzuordnen, die schulintern getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus (COVID-19), insbesondere die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Abstandsgebote und gesundheitliche Testungen, vorläufig auszusetzten.

Streit um Zuständigkeit

Das Familiengericht erklärte den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig verwies und das Verfahren an das Verwaltungsgericht. Das VG sandte die ihm übersandten Verfahrensakten an das Familiengericht "zuständigkeitshalber" zurück und nahm dabei den Rechtsstandpunkt ein, dass das Familiengericht zuständig und die Verweisung an das VG wegen eines groben Verfahrensverstoßes nicht bindend sei. Daraufhin legte das Familiengericht die Sache dem BGH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.

BGH: Familiengerichte unzuständig

Das Familiengericht habe bei einer Gefährdung des Kindeswohls von Amts wegen die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. Dabei könne das Gericht in Angelegenheiten der Personensorge auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen (§ 1666 Abs. 1, 4 BGB). Der BGH stellt aber klar, dass damit keine Befugnis des Familiengerichts zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber schulischen Behörden verbunden sei. Im Rahmen des schulischen Sonderrechtsverhältnisses seien die zuständigen Behörden ihrerseits an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns – auch hinsichtlich Infektionsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen – obliege hierbei allein den Verwaltungsgerichten.

Verfahren ohne Rechtswegverweisung einzustellen

Eine Rechtswegverweisung des Familiengerichts an das VG komme jedoch wegen unüberwindbar verschiedener Prozessgrundsätze des von Amts wegen zu betreibenden familiengerichtlichen Verfahrens einerseits und des Klage- beziehungsweise Antragsverfahrens der Verwaltungsgerichtsbarkeit andererseits nicht in Betracht. Das familiengerichtliche Verfahren sei deshalb ohne Rechtswegverweisung einzustellen gewesen.

BGH, Beschluss vom 06.10.2021 - XII ARZ 35/21

Redaktion beck-aktuell, 27. Oktober 2021.