BGH: EuGH soll zu Zu­läs­sig­keit des Ton­trä­ger-Sam­plings Stel­lung neh­men

Der unter an­de­rem für das Ur­he­ber­recht zu­stän­di­ge I. Zi­vil­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat dem Ge­richts­hof der Eu­ro­päi­schen Union meh­re­re Fra­gen zu einer Ver­let­zung der Rech­te des Ton­trä­ger­her­stel­lers durch Sam­pling vor­ge­legt. Unter an­de­rem soll der EuGH klä­ren, ob schon dann in das aus­schlie­ß­li­che Recht des Ton­trä­ger­her­stel­lers zur Ver­viel­fäl­ti­gung sei­nes Ton­trä­gers ein­ge­grif­fen wird, wenn aus dem Ton­trä­ger nur kleins­te Ton­fet­zen ent­nom­men und ver­wen­det wer­den (Be­schluss vom 01.06.2017, I ZR 115/16 – Me­tall auf Me­tall III).

"Kraft­werk" gegen Sa­bri­na Set­lur

Die Klä­ger sind Mit­glie­der der Mu­sik­grup­pe "Kraft­werk". Diese ver­öf­fent­lich­te im Jahr 1977 einen Ton­trä­ger, auf dem sich das Mu­sik­stück "Me­tall auf Me­tall" be­fin­det. Die Be­klag­ten zu 2 und 3 sind die Kom­po­nis­ten des Ti­tels "Nur mir", den die Be­klag­te zu 1 mit der Sän­ge­rin Sa­bri­na Set­lur auf 1997 er­schie­ne­nen Ton­trä­gern ein­ge­spielt hat. Dabei haben die Be­klag­ten zwei Se­kun­den einer Rhyth­mus­se­quenz aus dem Titel "Me­tall auf Me­tall" elek­tro­nisch ko­piert ("ge­sam­pelt") und dem Titel "Nur mir" in fort­lau­fen­der Wie­der­ho­lung un­ter­legt. Die Klä­ger sehen da­durch ihre Rech­te als Ton­trä­ger­her­stel­ler ver­letzt. Sie haben die Be­klag­ten auf Un­ter­las­sung, Fest­stel­lung ihrer Scha­dens­er­satz­pflicht, Aus­kunfts­er­tei­lung und Her­aus­ga­be der Ton­trä­ger zum Zweck der Ver­nich­tung in An­spruch ge­nom­men.

Ge­rich­te un­eins über Reich­wei­te der Kunst­frei­heit beim Sam­pling

Das Land­ge­richt hatte der Klage statt­ge­ge­ben. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten war ohne Er­folg ge­blie­ben. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten hatte der BGH in einer frü­he­ren Enstchei­dung das Be­ru­fungs­ur­teil auf­ge­ho­ben und die Sache zur neuen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­ver­wie­sen. Das Be­ru­fungs­ge­richt hatte die Be­ru­fung der Be­klag­ten wie­der­um zu­rück­ge­wie­sen. Die er­neu­te Re­vi­si­on der Be­klag­ten hatte der BGH zu­rück­ge­wie­sen. Er hatte da­mals an­ge­nom­men, die Be­klag­ten hät­ten durch das Sam­pling in das Recht der Klä­ger als Ton­trä­ger­her­stel­ler ein­ge­grif­fen. Sie könn­ten sich nicht auf das Recht zur frei­en Be­nut­zung (§ 24 Abs. 1 UrhG) be­ru­fen, weil es ihnen mög­lich ge­we­sen sei, die aus dem Mu­sik­stück "Me­tall auf Me­tall" ent­nom­me­ne Se­quenz selbst ein­zu­spie­len. Aus der durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ge­schütz­ten Kunst­frei­heit lasse sich kein Recht ab­lei­ten, die Ton­auf­nah­me ohne Ein­wil­li­gung des Ton­trä­ger­her­stel­lers zu nut­zen.

BVerfG be­fass­te BGH ein drit­tes Mal

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat das Re­vi­si­ons­ur­teil und das Be­ru­fungs­ur­teil auf­ge­ho­ben und die Sache er­neut an den BGH zu­rück­ver­wie­sen. Es hat an­ge­nom­men, die Ent­schei­dun­gen ver­letz­ten die Be­klag­ten in ihrer durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ga­ran­tier­ten Frei­heit der künst­le­ri­schen Be­tä­ti­gung. Die An­nah­me, die Über­nah­me selbst kleins­ter Ton­se­quen­zen stel­le einen un­zu­läs­si­gen Ein­griff in das Ton­trä­ger­her­stel­ler­recht der Klä­ger dar, so­weit der über­nom­me­ne Aus­schnitt gleich­wer­tig nach­spiel­bar sei, trage der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ga­ran­tier­ten Kunst­frei­heit nicht hin­rei­chend Rech­nung.

BGH ruft EuGH an

Mit ihrer Re­vi­si­on ver­fol­gen die Be­klag­ten ihren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag wei­ter. Der BGH hat das Ver­fah­ren nun­mehr aus­ge­setzt und dem EuGH Fra­gen zur Aus­le­gung der Richt­li­nie 2001/29/EG des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Rates vom 22.05.2001 zur Har­mo­ni­sie­rung be­stimm­ter As­pek­te des Ur­he­ber­rechts und der ver­wand­ten Schutz­rech­te in der In­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft und der Richt­li­nie 2006/115/EG zum Ver­miet­recht und Ver­leih­recht sowie zu be­stimm­ten dem Ur­he­ber­recht ver­wand­ten Schutz­rech­ten im Be­reich des geis­ti­gen Ei­gen­tums vor­ge­legt.

Bei Über­tra­gung kleins­ter Ton­fet­zen Ein­griff in Ver­viel­fäl­ti­gungs­recht?

Nach An­sicht des BGH stellt sich zu­nächst die Frage, ob ein Ein­griff in das aus­schlie­ß­li­che Recht des Ton­trä­ger­her­stel­lers zur Ver­viel­fäl­ti­gung sei­nes Ton­trä­gers aus Art. 2 Buchst. c Richt­li­nie 2001/29/EG vor­liegt, wenn sei­nem Ton­trä­ger kleins­te Ton­fet­zen ent­nom­men und auf einen an­de­ren Ton­trä­ger über­tra­gen wer­den. Wei­ter fragt er, ob es sich bei einem Ton­trä­ger, der von einem an­de­ren Ton­trä­ger über­tra­ge­ne kleins­te Ton­fet­zen ent­hält, im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Richt­li­nie 2006/115/EG um eine Kopie des an­de­ren Ton­trä­gers han­delt.

Unter frei­er Be­nut­zung des Ton­trä­gers ge­schaf­fe­nes selbst­stän­di­ges Werk zu­stim­mungs­frei ver­wert­bar?

Für den Fall, dass diese Frage zu be­ja­hen ist, stel­le sich die Frage, ob die Mit­glied­staa­ten eine Be­stim­mung vor­se­hen kön­nen, die – wie die Vor­schrift des § 24 Abs. 1 UrhG – klar­stellt, dass der Schutz­be­reich des aus­schlie­ß­li­chen Rechts des Ton­trä­ger­her­stel­lers zur Ver­viel­fäl­ti­gung (Art. 2 Buchst. c Richt­li­nie 2001/29/EG) und Ver­brei­tung (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Richt­li­nie 2006/115/EG) sei­nes Ton­trä­gers in der Weise im­ma­nent be­schränkt ist, dass ein selbst­stän­di­ges Werk, das in frei­er Be­nut­zung sei­nes Ton­trä­gers ge­schaf­fen wor­den ist, ohne seine Zu­stim­mung ver­wer­tet wer­den darf. Nach den Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts haben die Be­klag­ten mit dem Mu­sik­stück "Nur mir" ein selbst­stän­di­ges Werk im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG ge­schaf­fen.

Greift das Zi­tat­recht?

Soll­ten die Be­klag­ten in das Ton­trä­ger­her­stel­ler­recht der Klä­ger ein­ge­grif­fen haben und sich nicht auf das Recht zur frei­en Be­nut­zung be­ru­fen kön­nen, stellt sich für den BGH die Frage, ob ein Werk oder ein sons­ti­ger Schutz­ge­gen­stand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richt­li­nie 2001/29/EG für Zi­tatz­we­cke ge­nutzt wird, wenn nicht er­kenn­bar ist, dass ein frem­des Werk oder ein frem­der sons­ti­ger Schutz­ge­gen­stand ge­nutzt wird. Die Be­klag­ten hät­ten sich zur Recht­fer­ti­gung des Sam­plings auch auf das Zi­tat­recht be­ru­fen. Es gebe al­ler­dings kei­nen An­halts­punkt dafür, dass die Hörer an­neh­men könn­ten, die dem Mu­sik­stück "Nur mir" un­ter­leg­te Rhyth­mus­se­quenz sei einem frem­den Werk oder Ton­trä­ger ent­nom­men wor­den.

EuGH soll Um­set­zungs­spiel­räu­me im na­tio­na­len Recht klä­ren

Dar­über hin­aus stel­le sich die Frage, ob die Vor­schrif­ten des Uni­ons­rechts zum Ver­viel­fäl­ti­gungs­recht und Ver­brei­tungs­recht des Ton­trä­ger­her­stel­lers (Art. 2 Buchst. c Richt­li­nie 2001/29/EG und Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Richt­li­nie 2006/115/EG) und den Aus­nah­men oder Be­schrän­kun­gen die­ser Rech­te (Art. 5 Abs. 2 und 3 Richt­li­nie 2001/29/EG und Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Richt­li­nie 2006/115/EG) Um­set­zungs­spiel­räu­me im na­tio­na­len Recht zu­las­sen. Diese Frage ist laut BGH ent­schei­dungs­er­heb­lich, weil nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts in­ner­staat­li­che Rechts­vor­schrif­ten, die eine Richt­li­nie der Eu­ro­päi­schen Union in deut­sches Recht um­set­zen, grund­sätz­lich nicht am Maß­stab der Grund­rech­te des Grund­ge­set­zes, son­dern al­lein am Uni­ons­recht und damit auch den durch die­ses ge­währ­leis­te­ten Grund­rech­ten zu mes­sen sind, so­weit die Richt­li­nie den Mit­glied­staa­ten kei­nen Um­set­zungs­spiel­raum über­lässt, son­dern zwin­gen­de Vor­ga­ben macht.

Bei Schutz­um­fang-Be­stim­mung Grund­rech­te der EU-Grund­rech­te­char­ta zu be­rück­sich­ti­gen?

Schlie­ß­lich hat der BGH dem EuGH die Frage vor­ge­legt, in wel­cher Weise bei der Be­stim­mung des Schutz­um­fangs des aus­schlie­ß­li­chen Rechts des Ton­trä­ger­her­stel­lers zur Ver­viel­fäl­ti­gung (Art. 2 Buchst. c Richt­li­nie 2001/29/EG) und Ver­brei­tung (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b Richt­li­nie 2006/115/EG) sei­nes Ton­trä­gers und der Reich­wei­te der Aus­nah­men oder Be­schrän­kun­gen die­ser Rech­te (Art. 5 Abs. 2 und 3 Richt­li­nie 2001/29/EG und Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Richt­li­nie 2006/115/EG) die Grund­rech­te der EU-Grund­rech­te­char­ta zu be­rück­sich­ti­gen sind. Im Streit­fall stün­den das gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grund­rech­te­char­ta ge­schütz­te geis­ti­ge Ei­gen­tum der Klä­ger als Ton­trä­ger­her­stel­ler und die in Art. 13 Satz 1 EU-Grund­rech­te­char­ta ge­währ­leis­te­te Kunst­frei­heit der Be­klag­ten als Nut­zer des Ton­trä­gers ein­an­der ge­gen­über.

Redaktion beck-aktuell, 1. Juni 2017.

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