BGH: EuGH soll urheberrechtlichen Schutz geheimer militärischer Lageberichte der Bundesregierung gegen Presse-Veröffentlichung klären

Der Gerichtshof der Europäischen Union soll im Zusammenhang mit dem urheberrechtlichen Schutz geheimer militärischer Lageberichte der Bundesregierung Fragen zur Abwägung zwischen dem Urheberrecht und den Grundrechten auf Informations- und Pressefreiheit klären. Hierum bittet der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 01.06.2017 (Az.: I ZR 139/15 – Afghanistan Papiere). Ihm geht es insbesondere um die Frage, ob eine außerhalb der urheberrechtlichen Verwertungsbefugnisse und Schrankenbestimmungen angesiedelte allgemeine Interessenabwägung zulässig ist.

Abgestufte Veröffentlichung militärischer Lageberichte über Bundeswehr-Auslandseinsätze

Die klagende Bundesrepublik Deutschland lässt wöchentlich einen militärischen Lagebericht über die Auslandseinsätze der Bundeswehr erstellen. Die Berichte werden von der Klägerin unter der Bezeichnung "Unterrichtung des Parlaments" (UdP) an ausgewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestags, Referate im Bundesverteidigungsministerium und in anderen Bundesministerien sowie an dem Bundesverteidigungsministerium nachgeordnete Dienststellen übersandt. Die UdP sind als Verschlusssache "VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH" eingestuft, die niedrigste von vier Geheimhaltungsstufen. Daneben veröffentlicht die Klägerin gekürzte Fassungen der UdP als "Unterrichtungen der Öffentlichkeit" (UdÖ).

Streit um Veröffentlichung der nicht für die Öffentlichkeit bestimmten ungekürzten Fassung

Die Beklagte betreibt das Onlineportal der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Sie beantragte im September 2012 die Einsichtnahme in UdP aus den Jahren 2001 bis 2012. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, das Bekanntwerden der Informationen könne nachteilige Auswirkungen auf sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr haben. Zugleich wurde auf die regelmäßig erscheinende UdÖ hingewiesen, die eine nicht die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr berührende Version der UdP darstelle. Die Beklagte gelangte auf unbekanntem Weg an einen Großteil der UdP und veröffentlichte die von ihr als "Afghanistan Papiere" bezeichneten Berichte aus den Jahren 2005 bis 2012 in ihrem Onlineportal. Die Klägerin sieht darin eine Verletzung ihrer Urheberrechte an den UdP. Sie hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das Landgericht Köln hat der Klage stattgegeben (GRUR-RR 2015, 55). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (vgl. OLG Köln, GRUR-RR 2016, 59). Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

EuGH soll über Urheberrechtsverletzung entscheiden

Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG vorgelegt. Nach Ansicht des BGH stellt sich die Frage, ob eine widerrechtliche Verletzung eines Urheberrechts an den UdP ausscheidet, weil das Recht der Klägerin zur Vervielfältigung (Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG) und zur öffentlichen Wiedergabe (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG) der Berichte oder die von der Beklagten geltend gemachten Schrankenregelungen der Berichterstattung über Tagesereignisse (Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG) und des Zitatrechts (Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG) im Lichte der im Streitfall betroffenen Grundrechte und Interessen auszulegen und anzuwenden sind, und die von der Beklagten geltend gemachte Behinderung der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit durch das Urheberrecht an den UdP schwerer wiegt als der Schutz von Verwertungsinteressen und Geheimhaltungsinteressen der Klägerin.

Möglicherweise Umsetzungsspielräume im nationalen Recht gegeben?

Der BGH hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die hier in Rede stehenden Vorschriften des Unionsrechts Umsetzungsspielräume im nationalen Recht lassen. Diese Frage sei entscheidungserheblich, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts innerstaatliche Rechtsvorschriften, die eine Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht umsetzen, grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein am Unionsrecht und damit auch den durch dieses gewährleisteten Grundrechten zu messen sind, soweit die Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum überlässt, sondern zwingende Vorgaben macht.

Können Informations- und Pressefreiheit Urheberrechte einschränken?

Der BGH hat dem EuGH ferner die Frage vorgelegt, ob die Grundrechte der Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta) und der Pressefreiheit (Art. 11 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) Einschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke außerhalb der in der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Schranken dieser Rechte rechtfertigen. Diese Frage stelle sich, weil die Voraussetzungen der – hier allein in Betracht kommenden – Schranken der Berichterstattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts nach dem Wortlaut der betreffenden Regelungen der Richtlinie nicht erfüllt sind. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts habe die Beklagte sich darauf beschränkt, die militärischen Lageberichte in systematisierter Form im Internet einzustellen und zum Abruf bereitzuhalten. Danach habe die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe der UdP nicht in Verbindung mit einer Berichterstattung gestanden und sei auch nicht zu Zitatzwecken erfolgt. Darüber hinaus seien die UdP zum Zeitpunkt ihrer Vervielfältigung und öffentlichen Wiedergabe durch die Beklagte der Öffentlichkeit nicht bereits - wie es das Zitatrecht voraussetzt – rechtmäßig zugänglich gemacht worden.

BGH sieht keinen Raum für allgemeine Interessenabwägung

Der BGH hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH deutlich gemacht, dass nach seiner Ansicht eine außerhalb der urheberrechtlichen Verwertungsbefugnisse und Schrankenbestimmungen angesiedelte allgemeine Interessenabwägung durch die Gerichte nicht in Betracht kommt, weil sie in das vom Richtliniengeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bereits allgemein geregelte Verhältnis von Urheberrecht und Schrankenregelung übergreifen würde. Danach könnte sich die Beklagte zur Rechtfertigung eines Eingriffs in das Urheberrecht an den militärischen Lageberichten nicht mit Erfolg auf ein gesteigertes öffentliches Interesse an deren Veröffentlichung berufen.

BGH, Beschluss vom 01.06.2017 - I ZR 139/15

Redaktion beck-aktuell, 1. Juni 2017.

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