Erneute Anhörung in Berufung bei anderweitiger Würdigung

Ein Berufungsgericht muss eine bereits in erster Instanz angehörte Partei nochmals hören, wenn es deren Aussage anders würdigen will als die Vorinstanz. Es gelten die gleichen Maßstäbe wie bei der Vernehmung eines Zeugen nach § 398 Abs. 1 ZPO. Das hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 28.07.2020 entschieden.

Lediglich moralisch bindendes "Gentlemen's Agreement"

Ein Handelsvertreter verlangte von einem Gesellschafter Rechnungslegung und Zahlung nach Veräußerungen von Geschäftsanteilen an einer GmbH. Er gab an, durch eine Vereinbarung mit einem bestimmten Prozentsatz an den Verkaufserlösen beteiligt worden zu sein. Das Landgericht Limburg hörte die Parteien informatorisch an und gab der Stufenklage statt. Das OLG Frankfurt a. M. wies die Berufung zurück: Die Anhörung des Handelsvertreters spreche gegen einen verbindlichen Vertragsschluss. Er habe selbst angegeben, dass die von ihm behauptetet Vereinbarung durch Handschlag lediglich als "Gentlemen's Agreement" abgeschlossen worden sei. Verstärkt werde dieser Eindruck dadurch, dass sich die Parteien auf einer Parkbank am Rheinufer in Düsseldorf getroffen hätten.  Dadurch sah sich der Handelsvertreter in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

BGH: Verletzung rechtlichen Gehörs

Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH war erfolgreich. Der Senat wies die Sache zum OLG Frankfurt a. M. zurück. Es habe die informatorische Anhörung der Parteien anders gewertet als das Landgericht, ohne diese - wie nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erforderlich -selbst erneut zu hören, so der Vorwurf an das OLG. Das Berufungsgericht müsse einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals nach § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es dessen Aussage anders würdigen wolle als die Vorinstanz. Laut BGH galten diese Maßstäbe auch, nachdem das Landgericht die Geschäftspartner lediglich nach § 141 ZPO informatorisch angehört hatte. Aus Sicht der Karlsruher Richter stellte das OLG darauf ab, dass bei der Benutzung des Begriffs "Gentlemen's Agreement" durch den Handelsvertreter nicht klar gewesen sei, ob auch der Gesellschafter von einer verbindlichen Vereinbarung ausgegangen sei. Genau dies habe das Landgericht Limburg jedoch aufgrund seiner Anhörung festgestellt: Die Aussage, dass er auch den Handelsvertreter bei dessen Vertragstreue an den Erlösen habe beteiligen wollen, habe aus Sicht des LG für einen Rechtsbindungswillen gesprochen.

BGH, Beschluss vom 28.07.2020 - II ZR 20/20

Redaktion beck-aktuell, 12. August 2020.