Entspricht eine erhebliche Flugverspätung einer Annullierung?
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Setzt eine Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung auch dann ein Erscheinen zum Einchecken voraus, wenn der Fluggast sicher weiß, dass der Start mehr als drei Stunden verspätet erfolgen wird? Oder muss er bei großer Verspätung möglicherweise gar nicht erscheinen? Diese Fragen hat der Bundesgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.

Verpasster Geschäftstermin

Die Parteien stritten sich darum, ob wegen einer Flugverspätung ein Ausgleichsbetrag von 250 Euro nach der Fluggastrechteverordnung (Fluggastrechte-VO) angefallen war. Der Passagier selbst hatte seine Ansprüche abgetreten. Im Juni 2018 hatte er einen Flug von Düsseldorf nach Palma de Mallorca gebucht, der planmäßig um 10.15 Uhr abheben sollte. Allerdings wurde ihm schon im Vorfeld mitgeteilt, dass sich der Abflug erheblich verspäten würde. Da für ihn klar war, dass er zu einem geschäftlichen Termin auf Mallorca nicht mehr rechtzeitig ankommen würde, trat er den Flug nicht an. Die Maschine verließ Düsseldorf schließlich mit einer Verspätung von gut dreieinhalb Stunden. Das dortige Amtsgericht wies die Klage ab. Das Landgericht Düsseldorf entschied anders: Eine große Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden stehe nach der Rechtsprechung des EuGH einer Annullierung gleich. Das zusätzliche Erfordernis für eine Entschädigung bei Verspätung nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a Fluggastrechte-VO – ein Erscheinen zur Abfertigung mindestens 45 Minuten vor Abflug – sei hier nicht einschlägig. Es sei nicht ersichtlich, warum ein Passagier nur zum Erhalt seiner Rechte zum Flughafen fahren müsse, wenn ihm die Verzögerung bereits vorher bekannt sei. Der BGH legte die Sache dem EuGH vor.

Erscheinen pro forma?

Ob die Auslegung der Verordnung durch das LG zulässig war, konnte der Reisesenat des BGH der bisherigen europarechtlichen Judikatur nicht entnehmen. Möglicherweise könne man aus der Gleichstellung von Annullierung und großer Verspätung bei den Rechtsfolgen auch ableiten, dass nicht nur beim Flugausfall, sondern auch bei großer Verzögerung tatbestandlich kein Erscheinen bei der Abfertigung notwendig sei. Gegen eine solch grundsätzliche Lösung könnten aus Sicht der Bundesrichter aber die Unterschiede zwischen Absage und Verspätung sprechen: Im ersten Fall sei das Erscheinen unstreitig unzumutbar, in der zweiten Konstellation werde die Überschreitung der Grenze von drei Stunden möglicherweise erst unmittelbar vor Abflug klar. Als differenzierende Option stellt der X. Zivilsenat eine Lösung je nach Informationslage in den Raum: Wisse der Reisende spätestens 45 Minuten vor Abflug sicher, dass die Verspätung drei Stunden übersteigen werde, so müsse er wie bei einer Absage nicht extra ins Terminal kommen.

BGH, Beschluss vom 03.05.2022 - X ZR 122/21

Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 20. Juli 2022.