Nachträgliche Dämmung eines Altbaus darf auf Nachbargrundstück ragen
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Der Bundesgerichtshof hat die Revision eines Grundstückseigentümer aus Berlin zurückgewiesen, mit welcher dieser die Überbauung seines Grundstücks im Rahmen einer Fassadensanierung seines Nachbarn verhindern wollte. Die zugrundeliegende Regelung des Nachbargesetzes des Landes Berlin, welche eine grenzüberschreitende nachträgliche Wärmedämmung von Bestandsbauten erlaube, sei mit dem Grundgesetz vereinbar, so das Gericht.

Beklagte wehrt sich gegen Überbauung ihres Grundstücks

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Berlin. Im Rahmen einer Fassadensanierung wollte die Klägerin den seit 1906 nicht mehr sanierten grenzständigen Giebel ihres Gebäudes mit einer 16 cm starken mineralischen Dämmung versehen und in diesem Umfang über die Grenze zum Grundstück der Beklagten hinüberbauen, deren Gebäude etwa 7,5 Meter niedriger als das Gebäude der Klägerin ist. Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, die Überbauung ihres Grundstücks zum Zwecke der Wärmedämmung der grenzständigen Giebelwand des klägerischen Gebäudes zu dulden. Die Berufung der Beklagten vor dem Landgericht hatte keinen Erfolg.

BGH entscheidet trotz Zweifeln an Verfassungsmäßigkeit zugrundeliegender Norm

Nun hat auch der BGH der Klägerin recht gegeben und die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Das Gericht habe zwar Zweifel hinsichtlich der materiellen Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Norm des § 16a des Nachbargesetzes des Landes Berlin (NachBG Bln), da diese den Duldungsanspruch des Grundstückseigentümers einzig davon abhängig mache, dass die Überbauung zum Zweck der Dämmung eines bereits bestehenden, entlang der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes erfolge. Dies könne mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar sein. So werde in den Regelungen anderer Bundesländer der Duldungsanspruch auch durchweg von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, etwa davon, dass der Überbau die Benutzung oder beabsichtigte Benutzung des Grundstücks des Nachbarn nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt oder dass eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise (etwa durch eine Innendämmung) mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden könne. Diese Zweifel seien jedoch nicht so durchgreifend, dass das Gericht eine konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht in Betracht ziehe.

Vorschrift noch verhältnismäßig

Das Gericht äußerte Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit der Regelung, welche auf Energieeinsparungen bei bestehenden Wohngebäuden abziele. Es erscheine fraglich, ob die Norm die Interessen des duldungspflichtigen Nachbarn noch in einer Weise berücksichtige, dass der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum eingehalten sei. So wäre der Duldungsanspruch etwa auch dann gegeben, wenn die grenzüberschreitende Dämmung dazu führe, dass der Platz auf dem Nachbargrundstück nicht mehr ausreiche, um Mülltonnen oder Fahrräder abzustellen oder über einen Weg zwischen den Häusern zur Straße zu bringen. Allerdings würden die Interessen des von der Überbauung betroffenen Nachbarn in § 16a NachBG Bln zumindest in einem gewissen Umfang berücksichtigt. So sei der duldungsverpflichtete Nachbar berechtigt, die Beseitigung des Überbaus zu verlangen, wenn und soweit er selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen will. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Regelung aus Sicht des Gesetzgebers nicht allein das Verhältnis zweier Grundstückseigentümer untereinander betrifft, deren Individualinteressen zum Ausgleich zu bringen sind, sondern vor allem dem Klimaschutz und damit einem anerkannten Gemeinwohlbelang dient, dem über das aus Art. 20a GG abgeleitete Klimaschutzgebot Verfassungsrang zukommt. In der Gesamtschau erscheine es dem Senat daher durchaus möglich, dass § 16a NachBG Bln noch als verhältnismäßig anzusehen ist.

BGH, Urteil vom 23.06.2022 - V ZR 23/21

Miriam Montag, 1. Juli 2022.