BGH entscheidet über Grenzen der Unabhängigkeit internationaler Schiedsverfahren

Eine internationale Schiedsinstitution soll schlichten, wenn sich Unternehmen wegen Politikwechseln um investierte Millionenbeträge geschädigt sehen. Als Deutschland und die Niederlande angesichts der Klimakrise ihre Energiepolitik ändern, dadurch Konflikte mit ausländischen Investoren auslösen und diese dann eben jene Schiedsverfahren starten, wollen die EU-Staaten das stoppen. Ob das vor deutschen Gerichten geht, ist nun ein Fall für den Bundesgerichtshof.

Mehrere Verfahren beim ICSID eingeleitet

Über drei Fälle dieser Art innerhalb der EU hat der BGH am Mittwoch in Karlsruhe verhandelt. In den mehr als drei Stunden wurde die Komplexität der damit verbundenen Rechtsfragen deutlich. Womöglich widersprechen gesetzliche Regeln in Deutschland, etwa in der Zivilprozessordnung, und EU-Rechtsprechung dem Ansinnen, Konflikte von einer unabhängigen Instanz lösen zu lassen. Dann stellt sich die Frage, was schwerer wiegt. Die Firmen - darunter RWE und Uniper - haben am Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID), das Konflikte zwischen Regierungen und ausländischen Investoren schlichten soll, Verfahren eingeleitet. Sie sehen sich um hohe Summen geschädigt, in einem Fall gar rund 1,4 Milliarden Euro. Das ICSID ist eine unabhängige Einrichtung innerhalb der Weltbankgruppe; die Bundesrepublik Deutschland ist seit der Gründung 1966 Mitglied.

Deutsche Gerichte bei der Frage der Zulässigkeit uneins

Bei RWE und Uniper geht es nach BGH-Angaben um Investitionen in niederländische Kohlekraftwerke. Das Königreich hat zwischenzeitlich aber beschlossen, bis zum Jahr 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen. In dem anderen Verfahren beklagen mehrere Firmen eines irischen Konzerns, dass Deutschland seine Gesetzgebung zur Windenergie speziell für Offshore-Anlagen geändert hat. Die beiden Staaten wandten sich an deutsche Gerichte, um feststellen zu lassen, dass die Verfahren unzulässig seien. Das OLG Köln und das KG kamen jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen darüber, ob die Anträge rechtmäßig sind.

Haben deutsche Gerichte internationale Zuständigkeit?

Der Vorsitzende Richter des ersten Zivilsenats am BGH, Thomas Koch, machte deutlich, welche Fragen es zu prüfen gilt. Dabei geht es unter anderem darum, ob deutsche Gerichte internationale Zuständigkeit haben und wie eng man Urteile des EuGH auslegt. Zudem gilt es Dinge zu berücksichtigen wie die Vorgabe, dass ein ICSID-Schiedsgericht selbst über seine Zuständigkeit entscheidet. Auch andere internationale Vereinbarungen spielen eine Rolle. Die BGH-Anwälte der Staaten argumentierten, es gebe keine wirksame Schiedsvereinbarung. Noch dazu könnten mögliche Schiedssprüche nicht vollstreckt werden, weil das Unionsrecht widerspreche. Dass ein deutsches Gericht vor Bildung des Schiedsgerichts die Unzulässigkeit eines solchen Verfahrens feststellen kann, sei in der Zivilprozessordnung geregelt, betonte etwa Matthias Koch, der die Bundesrepublik vertritt. "Das Werkzeug im Werkzeugkoffer liegt vor."

Unternehmen: Schiedsverfahren garantieren Neutralität

Aus Sicht der Unternehmen geht es darum, dass die Schiedsverfahren Neutralität garantieren. "Die Möglichkeit, eine Streitigkeit einem unabhängigen Forum vorzulegen, ist ein hoher Wert", sagte der BGH-Anwalt von Uniper, Gottfried Hammer. Ähnlich äußerte sich sein Kollege Thomas Winter, der für die anderen Firmen vor dem BGH sprach: "Investitionen setzen Vertrauen voraus." Die Anwälte der Gegenseite betonten daraufhin, auch deutsche Gerichte seien unabhängig. Die ICSID-Vereinbarung sei ein völkerrechtlicher Vertrag, sagte Winter weiter. Er sei eine Verpflichtung aller, die mitmachen, allen anderen gegenüber: "Keiner mischt sich ein, zu keiner Zeit." Sollte das einem Staat nicht passen, könne er aus dem Abkommen austreten. Zwar ließen die Karlsruher Richterinnen und Richter keine klare Tendenz erkennen, hinterfragten aber gerade Winters Worte deutlich. Der BGH will am 27.07.2023 sein Urteil sprechen (I ZB 43/22, I ZB 74/22 und I ZB 75/22).

Redaktion beck-aktuell, 19. Mai 2023 (dpa).