Isolation von Eltern soll entgegengewirkt werden
Die Kläger sind Mitglieder einer Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaft in einer deutschen Großstadt. Ihre Wohnung befindet sich im ersten Obergeschoss. Der Beklagte – ein eingetragener Verein – ist Mieter einer unmittelbar darunter im Erdgeschoss belegenen Teileigentumseinheit, die nach der Teilungserklärung aus dem Jahr 1987 als "Laden mit Lager" genutzt werden darf. Dort betreibt er ein sogenanntes Eltern-Kind-Zentrum. Dessen Ziel ist es laut Satzung des Beklagten unter anderem, der zunehmenden Isolation von Eltern entgegenzuwirken, die sich aus der Situation der Familien in der Großstadt ergibt. Geöffnet ist das Zentrum montags bis freitags zwischen 9 Uhr und 18 Uhr.
Spielgruppen, Kindergarten, Kurse und Feiern
Vormittags findet ein "Mini-Kindergarten" für Kinder im Alter zwischen 18 und 36 Monaten statt, montags und freitags des Weiteren der Kurs "Deutsch als Fremdsprache" für Eltern. Nachmittags veranstaltet der Beklagte ein "offenes Spielzimmer" für Kinder und Familienangehörige mit Kaffee und Kuchen sowie Spielecke, ferner weitere Kinderkurse (Zeichenkurse, Musikkurse, Zumba Kids). Überwiegend nachmittags finden sogenannte offene Spielgruppen in verschiedenen Sprachen für Kinder und Eltern statt. Samstags treffen sich von 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr die "Scuola Italiana" für Kinder von 4 bis 6 Jahren und einmal pro Monat von 13 Uhr bis 16 Uhr die "Girl Scouts" (Pfadfinderinnen von der zweiten bis zur achten Jahrgangsstufe). Unregelmäßig finden Kinderfeiern, beispielsweise Faschingsfeiern, Flohmärkte und Vorträge statt.
Unterlassung der Nutzung der Räumlichkeiten als Eltern-Kind-Zentrum verlangt
Die Kläger verlangen von dem Beklagten mit dem Hauptantrag die Unterlassung der Nutzung der Räumlichkeiten als Eltern-Kind-Zentrum. Hilfsweise soll der Beklagte es unterlassen, auf einer näherbezeichneten Außenfläche vor der Teileigentumseinheit Kinderwagen und Fahrräder abzustellen. Zudem soll er durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass die Immissionen in der Wohnung der Kläger einen Pegel von 52 dB (A) nicht überschreiten. Das Landgericht hat dem Hauptantrag stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten vor dem Oberlandesgericht ist erfolglos geblieben. Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Aktivitäten typischerweise lauter und störender als die eines Ladens mit Lager
Der BGH hat jetzt der Revision des Beklagten stattgegeben und die Klage im Hauptantrag abgewiesen. Hinsichtlich der Hilfsanträge hat er die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Ein Wohnungseigentümer könne von dem Mieter einer anderen Einheit gemäß § 1004 Abs. 1 BGB Unterlassung verlangen, wenn dieser die Einheit anders nutzt als in der Teilungserklärung vorgesehen. Das gelte zwar dann nicht, wenn die tatsächliche Nutzung bei typisierender Betrachtung nicht mehr stört als die erlaubte Nutzung. Geräusche, die von einem Eltern-Kind-Zentrum ausgehen, seien angesichts der dort für gewöhnlich stattfindenden Aktivitäten aber typischerweise lauter und störender als die eines Ladens mit Lager.
Andere Bewertung bei Kinderlärm
Dass die Kläger gleichwohl nicht die Unterlassung der Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum verlangen könnten, beruhe auf der Ausstrahlungswirkung des § 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG auf das Wohnungseigentumsrecht. Nach dieser Bestimmung seien Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Ballspielplätzen, durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Dies sei regelmäßig auch bei der Prüfung zu beachten, ob eine nach der Teilungserklärung ausgeschlossene Nutzung dennoch zulässig ist, weil sie bei typisierender Betrachtungsweise nicht mehr stört als die vorgesehene Nutzung, und zwar auch dann, wenn die Teilungserklärung vor dem Inkrafttreten von § 22 Abs. 1a BImSchG errichtet wurde.
Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum könnte ausdrücklich oder konkludent ausgeschlossen sein
Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Nutzung der Einheiten als Einrichtung im Sinne des § 22 Abs. 1a BImSchG ausdrücklich oder konkludent ausgeschlossen ist. So liege es beispielsweise, wenn eine Anlage nach der Teilungserklärung als sogenanntes Ärztehaus konzipiert ist. Denn die Nutzung einer Einheit als Kindertageseinrichtung widerspräche unabhängig von ihrem Störungspotential dem professionellen Charakter einer solchen Anlage. Zudem stehe § 22 Abs. 1a BImSchG einem Unterlassungsanspruch der Wohnungseigentümer nicht entgegen, wenn die Nutzung als Kindertageseinrichtung auch unter Berücksichtigung der von § 22 Abs. 1a BImSchG gewährten Privilegierung mehr stört als die nach der Zweckbestimmung zulässige. Im Hinblick auf den erhöhten Publikumsverkehr, den eine Kindertageseinrichtung mit sich bringe, werde deshalb eine Wohneinheit regelmäßig nicht zu diesem Zweck genutzt werden dürfen. Anders könne es wiederum bei einer Tagesmutter liegen.
Ausnahmen liegen nicht vor
Diese Ausnahmen liegen hier nach Auffassung des BGH aber nicht vor, weil es um die Nutzung einer Teileigentumseinheit in einer gemischten Anlage geht, in der sowohl eine Wohnnutzung stattfindet als auch Teileigentumseinheiten vorhanden sind, die als Büros und Läden genutzt werden dürfen. Das von dem Beklagten betriebene Eltern-Kind-Zentrum sei eine Kindertageseinrichtung beziehungsweise jedenfalls eine "ähnliche" Einrichtung im Sinn des § 22 Abs. 1a BImSchG. Dem stehe nicht entgegen, dass die Angebote teilweise – neben den Angeboten nur für Kinder (Mini-Kindergarten, Zeichenkurse, Musikkurse, Zumba Kids, Scuola Italiana, Treffen der "Girl Scouts" und unregelmäßig stattfindende Kinderfeiern) – unter Beteiligung von Familienmitgliedern durchgeführt werden (offene Spielzimmer und offene Spielgruppen) und auch den Austausch der Eltern untereinander fördern sollen.
Reine Eltern-Angebote führen zu keiner anderen Bewertung
Unerheblich für die Anwendung des § 22 Abs. 1a BImSchG sei ferner, dass das Eltern-Kind-Zentrum zusätzlich zu den nach dieser Vorschrift privilegierten Angeboten auch Angebote ausschließlich an die Eltern mache, solange diesen – wie hier – eine nur untergeordnete Bedeutung zukomme. Der Begriff der Kindertageseinrichtung beziehungsweise einer ähnlichen Einrichtung dürfe nicht zu eng gefasst werden. Nur ein offenes Verständnis entspreche dem gesetzgeberischen Ziel, durch § 22 Abs. 1a BImSchG eine Privilegierung von "grundsätzlicher Natur" zu schaffen und vor dem Hintergrund, dass Kinderlärm unter einem besonderen Toleranzgebot stehe, ein klares gesetzgeberisches Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft zu setzen. Blieben die insoweit privilegierten Geräuscheinwirkungen außer Betracht, würden bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise die mit dem Betrieb des Eltern-Kind-Zentrums verbundenen Störungen nicht über das hinausgehen, was bei dem Betrieb eines Ladens regelmäßig zu erwarten sei.
Weitere Unterlassungsansprüche nicht ausgeschlossen
Zur Entscheidung über die Hilfsanträge hat der Bundesgerichtshof die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dass die Kläger von dem Beklagten nicht die Unterlassung der Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum verlangen können, schließe Unterlassungsansprüche gemäß § 1004 Abs. 1 BGB wegen einzelner besonders störender Handlungsweisen nicht aus.