Elektronische Wahl zur Satzungsversammlung einer Rechts­an­walts­kam­mer gültig

Der Bundesgerichtshof hat die erste elektronische Wahl zur Satzungsversammlung einer bayerischen Rechtsanwaltskammer für gültig befunden. Das elektronische Verfahren sei durch das Grundgesetz gedeckt. Einzelne Wahlfehler, die eventuell aufgetreten seien, hätten keinen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt, so der BGH.

Wahl zur Satzungsversammlung wurde erstmalig elektronisch durchgeführt

Eine Rechtsanwaltskammer rief ihre Mitglieder 2019 zum ersten Mal auf, ihre Stimme zur Satzungsversammlung ausschließlich elektronisch abzugeben. Der Kläger – selbst Mitglied der Kammer – focht diese Wahl an und verlangte die Erklärung der Ungültigkeit der Wahl, weil er unter anderem die Verfassungsmäßigkeit der elektronischen Wahl an sich bestritt und die allgemeinen Wahlgrundsätze verletzt sah. Seine Ansicht sah er auch darin bestätigt, dass die Wahlbeteiligung unter 10% lag. Der AGH Bayern wies die Klage ab, daher forderte er nun die Zulassung der Berufung vor dem Bundesgerichtshof – ebenfalls ohne Erfolg.

Elektronische Wahl verfassungsgemäß

§ 191b Abs. 2 Satz 2 BRAO erlaube die Durchführung der Wahl auch in elektronischer Form, so der Anwaltssenat. Nach der BVerfG-Rechtsprechung stehe es dem Gesetzgeber zu, das Wahlrecht und die allgemeinen Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG näher auszugestalten. Einer Durchführung auf elektronischem Wege steht dem BGH zufolge daher an sich nichts im Wege. Die Karlsruher Richter sehen auch keine Verletzung des Demokratiegebots oder der allgemeinen Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG, weil diese ausdrücklich im § 191b Abs. 2 Satz 1 und 4, Abs. 3 Satz 1, §§ 65 ff. BRAO festgeschrieben seien. Zwar fehlten hier die Aufzählung der Grundsätze der Wahlfreiheit und der Öffentlichkeit der Wahl, aber deren Geltung ergebe sich direkt aus dem Grundgesetz. Im Übrigen billige der Gesetzgeber den satzungsautonomen Kammern zu Recht die nähere technische und organisatorische Konkretisierung der Wahlbestimmungen zu.

Kein gravierender ergebnisrelevanter Wahlfehler gegeben

Die vom Kläger angeführte geringe Wahlbeteiligung, die mit noch nicht einmal 10% die Legitimationsbasis der Gewählten schwäche, ist nach Ansicht des Anwaltssenats nicht zwingend auf die elektronische Wahl zurückzuführen, sondern kann auch auf kammerspezifischen Gründen beruhen. Die anderen aufgezählten Wahlfehler – etwa eine fehlende Möglichkeit, sich der Stimme zu enthalten oder eine ungültige Stimme abzugeben – seien unwesentlich, weil es für die Wahl nur auf die positiv abgegebenen Stimmen ankomme. Im Übrigen sei es technisch gesehen durchaus möglich gewesen, eine ungültige Stimme abzugeben. Auch eine "Härtefallregelung" für Rechtsanwälte, die keinen Computer besitzen, sei nicht vonnöten gewesen: Seit der Einführung der Pflicht, ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach zu unterhalten, könne man davon ausgehen, dass alle Wahlberechtigten einen Zugang zu entsprechender EDV haben.

Geheime Wahl? Öffentliche Wahl?

Der BGH sah allerdings die Zurückweisung der Rüge, es habe keine Trennung von elektronischem Wählerverzeichnis und elektronischer Wahlurne gegeben, nicht ausreichend von der Vorinstanz begründet. Ob allein das Zeugnis einer Mitarbeiterin der das Wahlsystem betreuten Firma ausreiche oder ob nicht doch ein neutraler Gutachter hätte bestellt werden müssen, hält der Anwaltssenat für diskussionswürdig. Er sehe auch die Gefahr durch Nachverfolgung der Stimmabgabe durch den Browser oder sonstige Schadsoftware des Wählers für gegeben. Allerdings liege die Bewältigung dieses Risikos beim Rechtsanwalt und nicht bei der Kammer. Der Grundsatz der Öffentlichkeit erfordert nach § 16 Nr. 3 der Wahlordnung dem BGH zufolge nur, den Auszählungsprozess für jeden Wähler reproduzierbar zu machen – nicht aber alle einzelnen Schritte von der Wahlhandlung und Ergebnisermittlung. Selbst bei Annahme von diesen Wahlfehlern, so der BGH, hätten diese aber nicht zu einem anderen Wahlergebnis geführt. Daher seien die Beanstandungen des Klägers nach § 112f BRAO irrelevant.

Redaktion beck-aktuell, 28. Juli 2022.