Angeklagter verletzt Hundehalter mit Tränengas, Stock und Messer
Der Angeklagte lebt in einem Waldgebiet und fürchtet sich vor Hunden. Er regte sich deshalb regelmäßig lautstark über Hundehalter auf, die ihre Tiere in seiner Gegenwart nicht – wie vorgeschrieben – eng bei sich an der Leine führten. Im Oktober 2020 besprühte er erst einen freilaufenden Hund mit Tränengas und anschließend den darüber empörten Halter. Dieser wich zurück, wurde aber trotzdem mehrfach mit einem Stock von seinem Gegenüber geschlagen. Einen Monat später geriet der Angeklagte in einer ähnlichen Situation an einen Spaziergänger, der nach der Spray-Attacke auf seinen Hund zügig auf den Angeklagten zuging und sich so nah vor ihn stellte, dass sich ihre beiden Oberkörper berührten. Der Angeklagte fühlte sich bedroht und stach dem anderen daraufhin mit einem Messer in die rechte Brust und verletzte ihn damit lebensgefährlich. Nachdem er ihn anschließend noch bis zu dessen Auto verfolgte und ihn mit dem Tod bedroht hatte, entfernte er sich.
LG verhängt Freiheitsstrafe
In der Hauptverhandlung vor dem LG Bielefeld stellte sich heraus, dass er an einer paranoiden Schizophrenie litt. Er wurde wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Angeklagte erhob erfolgreich die Revision vor dem Bundesgerichtshof.
Stockschläge möglicherweise ohne vorwerfbare Vorsatzschuld ausgeteilt
Der 4. Strafsenat hob den Schuldspruch hinsichtlich des ersten Falls auf, weil das LG pauschal das Vorliegen eines Erlaubnistatbestands abgelehnt hatte.: Der Angeklagte habe die Situation im Oktober 2020 "krankheitsbedingt fehlinterpretiert", was einem "geistig Gesunden" nicht passieren würde. Entgegen der Ansicht des LG sei dieser Umstand aber gerade nicht "rechtlich unbeachtlich", sondern könnte das Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB analog begründen. Wenn sich der Mann aufgrund seiner Krankheit irrig Umstände vorgestellt hatte, die ihn zur Gegenwehr berechtigten, hätte er ohne vorwerfbare Vorsatzschuld gehandelt und wäre freizusprechen. Daher war es unbedingt erforderlich, festzustellen, in welcher Fehlvorstellung er gehandelt hat.
Bei Messerangriff möglicherweise Grenzen der Notwehr aus Furcht überschritten
Auch den zweiten Schuldspruch hob der BGH auf, weil das LG die Gebotenheit eines Messerangriffs wegen seines Vorverhaltens verneint hatte, ohne hier die Erkrankung zu berücksichtigen: Gerade wenn der Mann seine Umwelt krankheitsbedingt als allgemein feindlich-bedrohlich wahrnehme, müsse man prüfen, ob er die Grenzen der Notwehr aus Furcht nach § 33 StGB überschritten hat und deshalb ohne Schuld handelte.
Unterbringung auch bei Freispruch möglich
Der BGH betonte, dass der Unterbringung in den Fällen, in denen der Täter wegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums und wegen Putativnotwehr von den Vorwürfen freigesprochen wird, eine Unterbringung nach § 63 StGB trotzdem möglich ist. Bei Vorliegen einer positiven Gefährlichkeitsprognose müssten die Freisprüche nur auf krankheitsbedingt mangelnder Schuld des Täters beruhen. Der BGH verwiesen die Sache zurück.