Ehrenmord aus niedrigem Beweggrund

Wenn jemand versucht seine Ehefrau zu töten, weil diese nicht länger nach dem tradierten Rollenverständnis leben will, erfüllt der Täter das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe. Der Bundesgerichtshof hat daher eine Verurteilung wegen bloß versuchtem Totschlag mit Urteil vom 22.07.2020 aufgehoben.

Tötung der emanzipierten Ehefrau

Der 54-jährige Angeklagte aus Afghanistan war 2015 mit seiner Familie nach Deutschland gekommen. Drei Jahre später verließ ihn seine hier integrierte Ehefrau und nahm die Kinder mit. Das Familiengericht ordnete gegen ihn ein Kontaktverbot an, weil er die Trennung nicht akzeptierte. Der Täter verstand es als eine tiefgreifende Ehrverletzung, dass seine Gattin ein selbstbestimmtes Leben führen wollte und sich nicht länger seiner Herrschaft unterwarf. Dabei hatte er die kulturellen Unterschiede in der Lebensweise zwischen Deutschland und Afghanistan zwar intellektuell erfasst, wollte sich dem aber bewusst nicht anpassen. Vielmehr bestand er darauf, sein tradiertes Rollenverständnis mit seiner Familie weiterzuleben, und war auch bereit, dieses mit Gewalt durchzusetzen. Am Tattag verlangte er erneut von seiner Frau, sie möge zu ihm zurückkehren. Als sie sich weigerte, schlug er ihr mehrmals mit einer leeren Wodkaflasche auf den Kopf. Beim Versuch, ihr anschließend die zerbrochene Flasche in den Hals zu stechen, wurde er gestört. Das Landgericht Cottbus verurteilte ihn wegen versuchter Tötung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten. Gegen das Urteil legten sowohl er als auch die Geschädigte Revision ein.

Herrschaftsanspruch ist ein niedriger Beweggrund

Die Tötung aus Wut und Ärger darüber, dass eine Frau die Ehe nicht wieder aufnehmen will, ist dem Bundesgerichtshof zufolge ein niedriger Beweggrund. Das Empfinden des Mannes, seine Ehre sei durch die Trennung verletzt und er müsse sie mit dem Tod wiederherstellen, sei grundsätzlich objektiv als niedrig einzustufen. Der 5. Strafsenat hob das Urteil daher auf und verwies die Sache an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Cottbus zurück.

Abwesenheit des Angeklagten bei Vernehmung seines Sohnes

Die Verfahrensrüge des Angeklagten, er sei zu Unrecht bei der Vernehmung seines Sohnes von der Verhandlung ausgeschlossen worden, ist laut BGH unbegründet: Die Voraussetzungen des § 247 Satz 2 StPO - die Gefahr eines erheblichen Nachteils für einen minderjährigen Zeugen - waren gegeben, weil der Junge Angst vor seinem autoritären Vater hatte.

BGH, Urteil vom 22.07.2020 - 5 StR 543/19

Redaktion beck-aktuell, 18. August 2020.