Dieselprozess – Rechtliches Gehör für Informationen aus dem Internet
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Will ein Gericht Informationen aus dem Internet für eine Entscheidung verwenden, muss es dem Bundesgerichtshof zufolge seine Rechercheergebnisse zuvor mit den Parteien teilen und ihnen Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern. In einem sogenannten Dieselprozess nutzte ein Oberlandesgericht unter anderem ein Konzernorganigramm von VW, um der Audi AG sittenwidriges Verhalten von Volkswagen zuzurechnen.

Informationen aus dem Internet für das Urteil verwendet

In einem der sogenannten Dieselverfahren stritten die Parteien in der Berufungsinstanz darum, ob der beklagten Audi AG der Mangel zugerechnet werden konnte. Das Oberlandesgericht Zweibrücken recherchierte im Internet und fand eine Pressemitteilung, laut der sich die Audi AG nach Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von 800 Millionen Euro in einem Interview geäußert hat, dass sie sich zu ihrer Verantwortung für "die vorgefallenen Aufsichtspflichtverletzungen bekenne". Die Richter fanden auch ein Organigramm des VW-Konzerns, woraus sich personelle Verflechtungen zwischen der Beklagten und VW ergeben sollen. Diese Informationen legten sie ihrem Urteil zum Nachteil der Audi AG zugrunde, ohne im vorherigen Verfahren darauf hinzuweisen. Die Revision ließen sie nicht zu. Dagegen erhob die Aktiengesellschaft die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof - mit Erfolg.

Rechtliches Gehör verletzt

Die Karlsruher Richter bemängelten die Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG: Das OLG hätte den Parteien das Ergebnis seiner Ermittlungen zugänglich machen und durch einen Hinweis die Möglichkeit geben müssen, sich dazu zu äußern. Das gelte auch für offenkundige Tatsachen nach § 291 ZPO. Das Gericht habe hier der Beklagten alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB einfach nach § 31 BGB zugerechnet, indem es auf sich auf seine Internetrecherche stützte, ohne den Parteien zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Fehler war auch entscheidungserheblich

Laut den Karlsruher Richtern war die Gehörsverletzung auch erheblich für das Urteil: Im Fall eines rechtzeitigen Hinweises hätte Audi laut Beschwerdeschrift vorgetragen, dass das Organigramm keine Kenntnis über den Motormangel bei der Audi AG belege, weil aus ihm nicht hervorgehe, dass die Vertreter der Beklagten auch gleichzeitig bei VW tätig waren oder ihre Kenntnisse von einer Person erworben haben, die bei Volkswagen beschäftigt war. Bislang sei noch nicht einmal festgestellt worden, wer bei VW überhaupt Kenntnis von der manipulativen Software gehabt habe. Zu dem Interview hätte Audi vorgebracht, dass die Staatsanwaltschaft dem Unternehmen lediglich eine mangelhafte Sorgfalt bei der Aufsicht vorgeworfen habe. Diese Fahrlässigkeit genüge nicht für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nach § 826 BGB. Der III. Zivilsenat hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück.

BGH, Beschluss vom 27.01.2022 - III ZR 195/20

Redaktion beck-aktuell, 3. März 2022.