Dieselfälle: Anmeldung zu Klageregister kann Verjährung rückwirkend hemmen
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Der Bundesgerichtshof hat in einem "Dieselfall" erneut über Schadenersatzansprüche gegen die Volkswagen AG im Zusammenhang mit Fragen der Verjährung entschieden. Er stellt klar, dass die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Fall eines wirksam zum Klageregister angemeldeten Anspruchs grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zur Eintragung in deren Register eintritt.

Von Dieselskandal betroffenen Gebrauchtwagen erworben

Der Kläger erwarb 2011 bei einer Kfz-Händlerin für 22.607 Euro ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug VW Golf VI 2.0 TDI. In dem mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 (EU 5) ausgestatteten Fahrzeug war eine Motorsteuerungssoftware verbaut, durch die auf dem Prüfstand bessere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb. Mit seiner im Oktober 2019 eingegangenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung sowie die Zahlung von Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Die Beklagte hat unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben. Der Kläger behauptet, er habe sich im Dezember 2018 zur Musterfeststellungsklage an- und im September 2019 wieder abgemeldet.

OLG hält Ansprüche für verjährt

Das Landgericht hatte der Klage überwiegend stattgegeben, das OLG hatte sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Einem Anspruch des Klägers auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung stehe die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen. Es sei keine Hemmung der Verjährung vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist erfolgt, die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres 2015 in Gang gesetzt worden sei. Die rechtzeitige Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage noch im Jahr 2018 habe der Kläger nicht bewiesen. Eine Anmeldung zum Klageregister erst nach Ablauf der Verjährungsfrist wirke nicht auf den Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage zurück. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt.

OLG-Urteil hat keinen Bestand – BGH verweist zurück

Der BGH hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung könne die Klage nicht wegen Verjährung abgewiesen werden. Allerdings habe die Beklagte, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen habe, die von ihr erstinstanzlich erhobene Einrede der Verjährung in der Berufungsinstanz nicht wiederholen müssen. Für die Annahme eines diesbezüglich unterlassenen Berufungsangriffs oder gar eines Verzichts der Beklagten auf diese Einrede sei im Streitfall kein Raum. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht unangegriffen festgestellt hat, die Beklagte habe zur Begründung ihrer Berufung auch die Verjährung eines etwa bestehenden Anspruchs vorgebracht, gelange nach der Rechtsprechung des BGH mit der zulässigen Berufung grundsätzlich auch die erstinstanzlich erhobene Verjährungseinrede ohne Wiederholung in der Berufungsbegründung in die Berufungsinstanz.

BGH tritt vom Berufungsgericht angenommener Verjährung entgegen

Die Revision hat laut BGH aber erfolgreich die Annahme des Berufungsgerichts beanstandet, die Verjährung der Klageforderung sei mit dem Schluss des Jahres 2018 – und daher vor der 2019 erfolgten Klageeinreichung – eingetreten. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen könne die Hemmung der Verjährung durch Anspruchsanmeldung zum Klageregister der gegen die Beklagte geführte Musterfeststellungsklage im Jahr 2018 nicht verneint werden. Für die Entscheidung des BGH habe daher dahinstehen können, ob die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen hat. Die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Fall eines wirksam angemeldeten Anspruchs trete – wie der BGH nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat – grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zur Eintragung in deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt (BGH, ZIP 2021, 1973, Rn. 24 ff.).

Musterfeststellungsklage eignete sich zu Hemmung der Verjährung

Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Klägervortrag wurde laut BGH vor Ablauf des Jahres 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erhoben und hat der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche jedenfalls ab Beginn des Jahres 2019 wirksam zur Eintragung im entsprechenden Klageregister angemeldet (§ 608 ZPO). Auch liege den Ansprüchen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Unter diesen Voraussetzungen sei die Erhebung der Musterfeststellungsklage gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB grundsätzlich geeignet gewesen, die Verjährung der klägerischen Ansprüche zu hemmen, und zwar auch dann, wenn – wie vom Berufungsgericht angenommen – eine Anmeldung zum Klageregister noch im Jahr 2018 nicht bewiesen ist. Der Kläger habe nach Rücknahme der Anmeldung zudem auf der Grundlage einer von ihm zweitinstanzlich vorgelegten Urkunde innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die vorliegende Individualklage erhoben.

Hemmung der Verjährung trotz Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister

Dem Kläger sei es nicht verwehrt, so der BGH, sich auf die Hemmung der Verjährung zu berufen. Der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB finde grundsätzlich auch dann Anwendung, wenn der Gläubiger seine Anmeldung zum Klageregister im weiteren Verlauf des Musterfeststellungsverfahrens wieder zurücknimmt, um im Anschluss Individualklage zu erheben. Der Gesetzgeber habe dem Gläubiger bewusst die Möglichkeit der Abmeldung vom Klageregister bis zu dem in § 608 Abs. 3 ZPO geregelten Zeitpunkt und der anschließenden Geltendmachung der Ansprüche im Wege der Individualklage eingeräumt und für diesen Fall eine spezifische Regelung über eine nachlaufende sechsmonatige Verjährungshemmung getroffen (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB). Nutzt der Gläubiger diese ihm ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit der Anmeldungsrücknahme, handele es sich daher grundsätzlich um einen einfachen Rechtsgebrauch und nicht um einen Rechtsmissbrauch (BGH, ZIP 2021, 1973, Rn. 39 ff.; BeckRS 2021, 34797, Rn. 16). Die Umstände des Streitfalles gaben nach Ansicht des BGH keinen Anlass, hiervon abzuweichen.

Redaktion beck-aktuell, 27. Januar 2022.