Blockierter Aufsichtsrat: "Will nicht" heißt nicht "kann nicht"

Verhindert ein Mitglied des Aufsichtsrats jegliche Beschlussfassung, indem es die Sitzungen boykottiert und damit die Beschlussfähigkeit des Gremiums verhindert, ist guter Rat teuer. Der BGH lehnt eine ergänzende Bestellung eines Ersatzmitglieds ab und empfiehlt stattdessen die Abberufung.

Die beiden Aktionäre einer Aktiengesellschaft wählten in einer ad hoc zusammengekommenen Hauptversammlung eine weitere Aufsichtsrätin. Der Aufsichtsrat – nun zu dritt – hatte aber anschließend das Problem, dass das neugewählte Mitglied jegliche weitere Beschlussfassung verhinderte, indem es einfach den Sitzungen fernblieb: Ohne ihre Anwesenheit erreichte der Aufsichtsrat keine Beschlussfähigkeit, da nach der Satzung mindestens drei Aufsichtsräte an Beschlüssen mitwirken mussten. Den Grund für ihr Verhalten hatte das OLG noch offengelassen. Für das Revisionsverfahren ging der BGH aber davon aus, dass die Geltendmachung einer erklecklichen Forderung der AG gegen eine Erbengemeinschaft verhindert werden sollte, der die Neugewählte und ihre drei Töchter angehörten. Der Aufsichtsrat suchte nun nach einem Weg, seine Beschlussfähigkeit wieder herzustellen: Die anderen Angehörigen forderten vor Gericht, für die AG ergänzend ein Ersatzaufsichtsratsmitglied zu bestellen. Alle Instanzen lehnten ab. Der BGH zeigte aber anschließend, wie für Gesellschaften ein Ausweg aus solchen Miseren aussehen kann. 

Der II. Zivilsenat (Beschluss vom 09.01.2024 – II ZB 20/22) verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 AktG. Hiernach ist der Aufsichtsrat nur zu ergänzen, wenn ihm nicht genügend Mitglieder zur Beschlussfassung angehören. Die Aufsichtsrätin gehöre aber dem Gremium an, sie sei auch weder rechtlich noch tatsächlich gehindert, ihre Aufgaben wahrzunehmen.

Die Karlsruher Richterinnen und Richter lehnten auch eine analoge Anwendung des § 104 AktG ab, weil keine planwidrige Regelungslücke vorliege. Der dauerhafte Boykott sei schon deshalb nicht mit einer andauernden Verhinderung vergleichbar, weil er sofort beendet werden könne. Eine gerichtliche Ergänzung wäre auch gar nicht geeignet, die Situation aufzulösen, weil nach § 104 Abs. 6 AktG die obstruierende Aufsichtsrätin die gerichtliche Ergänzungsbestellung allein durch eine zeitweilige Kooperation, wodurch die "Verhinderung" wegfiele, unwirksam machen könne.

Abberufung in der HV oder durch das Gericht

Außerdem biete das AktG auch andere Möglichkeiten, das missliebige Aufsichtsratsmitglied loszuwerden: Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 AktG könne sie von der Hauptversammlung abberufen werden. Gerade bei einem abgeschlossenen Kreis von Aktionären, wie hier, sei dies in der Regel ohne größere Schwierigkeiten möglich.

Und nach § 103 Abs. 3 AktG könne das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats ein Mitglied abberufen, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliege. Ein nachgewiesener Boykott sei ein wichtiger Grund. Für den Beschluss dazu benötigt man dem BGH zufolge nur die Stimmen der beiden übrigen Aufsichtsräte, wenn die Blockierende die Beschlussfähigkeit durch schuldhaftes Fernbleiben vereitele. § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG könne in einem Fall des zielgerichteten Rechtsmissbrauchs dahingehend teleologisch reduziert werden, dass der Antrag nach § 103 Abs. 3 AktG auch zulässig sei, wenn ihn nur die zwei übrigen Aufsichtsratsmitglieder gefasst haben sollten. Das obstruierende Mitglied habe sowieso kein Stimmrecht bei der Frage, ob der Abberufungsantrag gestellt werden solle. 

BGH, Beschluss vom 09.01.2024 - II ZB 20/22

Redaktion beck-aktuell, rw, 8. März 2024.