Bindungswirkung eines Vorbehaltsurteils
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Ein Vorbehaltsurteil entfaltet nur eine Bindungswirkung, soweit es über den Klagegrund entschieden hat. Erweitert die Klägerin im Nachverfahren ihre Klage, sind dem Bundesgerichtshof zufolge die neu eingeführten Ansprüche gesondert zu prüfen: Das Vorbehaltsurteil bindet den erkennenden Richter dabei nicht.

Erweiterung im Nachverfahren

Ein Ehepaar erwarb eine noch zu errichtende Eigentumswohnung. Der Bauträgervertrag sah die Bezugsfertigkeit für Ende 2016 und die endgültige Fertigstellung für Ende April 2017 vor. Für jeden Monat, den das Unternehmen länger benötigt, sollte es an die Eheleute 4.500 Euro zahlen. Die Wohnung wurde schlussendlich erst im Februar 2019 übergeben. Die Eignerin (ihr Mann hatte seine Ansprüche an sie abgetreten) machte zunächst im Urkundenprozess die Schadenspauschalen für zwei Monate geltend und erwirkte ein Vorbehaltsurteil in Höhe von 9.000 Euro. Im Nachverfahren forderte sie im Wege der Klageerweiterung die Pauschalen für alle weiteren verlorenen Monate in Höhe von insgesamt 81.000 Euro. Das Landgericht München I erklärte das Vorbehaltsurteil "für vorbehaltlos" und verurteilte den Bauträger zur Zahlung der verlangten Summe. Dessen Berufung vor dem Oberlandesgericht München hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil jedoch auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück.

Beschränkte Bindungswirkung

Die Münchener Richter haben sich zu Unrecht an das Vorbehaltsurteil nach § 599 ZPO über die eingeklagten zwei Monate hinaus gebunden gesehen, erklärte der BGH. Die Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils reiche nur soweit, wie es über den Klageanspruch entschieden hat. Insoweit sei die Verteidigung im Nachverfahren nach § 600 ZPO tatsächlich auf den Anspruch auf zwei monatliche Schadenspauschalen beschränkt. Anderes gelte aber für die Ansprüche im Rahmen der Klageerweiterung: Sie haben laut dem VII. Zivilsenat einen anderen Klagegrund und sind vollständig neu überprüfbar – so als seien sie in einem separaten Verfahren geltend gemacht worden. Das Berufungsgericht muss nun für die später verlangten Schadenspauschalen in Höhe von 81.000 Euro alle Einwände des Unternehmens prüfen.

BGH, Urteil vom 25.08.2022 - VII ZR 86/20

Redaktion beck-aktuell, 14. Oktober 2022.