Bilanzielle Bewertung durch das Gericht nur bei eigener richterlicher Sachkunde

Die bilanzielle Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung im Zivilprozess erfordert in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Laut Bundesgerichtshof kann diese Einschätzung auch durch das Gericht erfolgen, sofern dieses ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde verfügt und die Parteien zuvor darauf hinweist. Beweisanträgen auf Einholung eines Gutachtens hätte es ansonsten nachgehen müssen.

Schadensersatz gegenüber Wirtschaftsprüfern

Zwei Anleger verklagten eine Wirtschaftsprüfergesellschaft auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 45.641 Euro nach dem Erwerb von Hypothekenanleihen einer mittlerweile insolventen AG. Der Vorwurf: die Prüfer hätten für den Jahresabschluss des Unternehmens für 2008 zu Unrecht einen Gewinn bestätigt. 2008 erwarb die AG sechs Immobilien für 43 Millionen Euro, die sie an drei als GmbH & Co. KG strukturierte Fonds für 57 Millionen Euro verkaufte. Die Kaufpreise waren bis Ende Oktober 2019 gestundet. Sie stellte die Entgelte als offene Forderungen in ihren Jahresabschluss für 2008 ein, der damit einen Überschuss von 4.736.000 Euro aufwies. Die Bilanzprüfer testierten ohne Beanstandungen Ende April 2009 den Jahresabschluss. In der Folgezeit gab die AG sechs Anleihen heraus. Im Vertriebsprospekt waren die Abschlussprüfer unter Hinweis auf die von ihnen erteilten uneingeschränkten Bestätigungsvermerke für die Abschlüsse 2007 und 2008 erwähnt. Im Oktober 2010 trat die AG von den Kaufverträgen mit den Fonds zurück, da diese den Kaufpreis nicht zahlen konnten. Dadurch verwandelte sich der Überschuss in einen Verlust. Während das LG Düsseldorf die Klage zurückwies, verurteilte das dortige Oberlandesgericht die Prüfer größtenteils, da die Erteilung des Testats für 2008 unvertretbar gewesen sei. Die Revision der Beklagten beim BGH hatte Erfolg.

Besondere Sachkunde ist entscheidend

Dem III. Zivilsenat zufolge beruht die Einschätzung des OLG, das von der Beklagten erteilte Testat sei fehlerhaft, auf Rechtsfehlern. Der BGH monierte, die Richter des Düsseldorfer Oberlandesgerichts hätten bereits nicht dargetan, über das erforderliche Fachwissen zu verfügen, um die Kaufpreisforderungen zum maßgeblichen Stichtag selbst bilanziell richtig bewerten zu können. Dementsprechend hätte das OLG den Klägervortrag zur Wertlosigkeit der Forderungen nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens als richtig feststellen dürfen. Das OLG habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, den Beweisanträgen beider Parteien nachzugehen, was im neuen Verfahren nachzuholen sein werde. Da bislang Feststellungen dazu fehlten, wie die Forderungen zu bewerten waren sowie ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Testat objektiv fehlerhaft gewesen sei, könne derzeit auch nicht beurteilt werden, ob das Verhalten der Wirtschaftsprüfergesellschaft als gewissenlos im Sinne einer Haftung nach § 826 BGB zu beurteilen sei. Der BGH verwies die Sache daher an das OLG zurück.

BGH, Urteil vom 20.01.2022 - III ZR 194/19

Redaktion beck-aktuell, 18. Februar 2022.