Trotz coronabedingter Beschränkungen volles Heimgeld zu zahlen
Seniorenwohnheim_Corona_adobe_CR_gareth
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Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung dürfen das Heimentgelt nicht wegen coronabedingter Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen kürzen. Dies hat der Bundesgerichtshof mit einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss klargestellt und den Antrag der Beklagten auf Beiordnung eines Notanwalts für eine geplante Nichtzulassungsbeschwerde abgelehnt. Nach Ansicht des BGH besteht in dem konkreten Fall kein Revisionszulassungsgrund.

Pflegevertrag aus wichtigem Grund gekündigt

Die Parteien hatten 2017 einen Vertrag über die Unterbringung und vollstationäre Pflege der Beklagten in einem vom Kläger betriebenen Seniorenwohn- und Pflegeheim geschlossen. Die Beklagte war in den Pflegegrad 3 eingestuft. Am 19.03.2020 holte ihr Sohn sie wegen der Corona-Pandemie zu sich nach Hause. Das ihr in dem Pflegeheim zugewiesene Zimmer räumte sie allerdings nicht. Für die Monate Mai bis August 2020 erbrachte sie auf das sich inzwischen auf 3.294,49 Euro belaufende beziehungsweise im August 2020 auf 3.344,07 Euro angestiegene Monatsentgelt lediglich Zahlungen in Höhe von insgesamt 1.162,18 Euro. Nachdem die Klägerin die Beklagte vergeblich unter Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert hatte, erklärte sie mit Schreiben vom 20.07.2020 die Kündigung des Pflegevertrags aus wichtigem Grund zum 31.08.2020.

Notanwalt für Nichtzulassungsbeschwerde begehrt

Das Landgericht hatte die Beklagte zur Räumung und Herausgabe des von ihr weiterhin belegten Zimmers sowie – unter Anrechnung der vertraglich vereinbarten Pauschale von 25% für ersparte Aufwendungen ab dem vierten Abwesenheitstag – zur Zahlung von 8.877,13 Euro nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Sie beabsichtigte, gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts "das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde" einzulegen, und begehrte dafür gemäß § 78b Abs. 1 ZPO die Bestellung eines Notanwalts, da auf ihre Anfrage keiner der beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte zu einer Vertretung bereit gewesen sei.

BGH: Entgeltkürzungsanspruch besteht unzweifelhaft nicht

Die Beiordnung eines Notanwalts für die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde scheidet nach Ansicht des BGH aus, weil offensichtlich kein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO vorliege. Die Zulassung der Revision sei insbesondere nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO geboten. Der von der Beklagten geltend gemachte Entgeltkürzungsanspruch bestehe unzweifelhaft nicht.

Keine Nicht- oder Schlechtleistung

Nach § 7 Abs. 2 des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) in Verbindung mit Nr. 2.1 des Pflegevertrages sei die Klägerin verpflichtet gewesen, der Beklagten ein bestimmtes Zimmer als Wohnraum zu überlassen sowie die vertraglich vereinbarten Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem allgemein anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse zu erbringen. Diese den Schwerpunkt des Pflegevertrags bildenden Kernleistungen konnten nach dem BGH-Beschluss trotz pandemiebedingt hoheitlich angeordneter Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen weiterhin in vollem Umfang erbracht werden. Eine Entgeltkürzung gemäß § 10 Abs. 1 WBVG wegen Nicht- oder Schlechtleistung scheide daher von vornherein aus.

Keine Störung der Geschäftsgrundlage

Es komme aber auch keine Herabsetzung des Heimentgelts wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Durch die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen habe sich die Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien bestehenden Pflegevertrag nicht schwerwiegend geändert. Die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen dienten primär dem Gesundheitsschutz sowohl der (besonders vulnerablen) Heimbewohner als auch der Heimmitarbeiter, ohne den Vertragszweck in Frage zu stellen. Ein Festhalten am unveränderten Vertrag war der Beklagten daher nach Auffassung des BGH zumutbar, zumal die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angeordneten Einschränkungen sozialer Kontakte ("Lockdown") das gesamte gesellschaftlichen Zusammenleben, also auch Nichtheimbewohner, erfassten.

BGH, Beschluss vom 28.04.2022 - III ZR 240/21

Redaktion beck-aktuell, 1. Juni 2022.

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