Beweiserhebungspflicht bei Notarhaftung trotz Vertragserfüllung

Erhält ein Verbraucher bei einem Wohnungskauf keine ausreichende Gelegenheit, den Vertragsentwurf zu prüfen, muss im Rahmen der Notarhaftung trotz Erfüllung des Vertrags Beweis über die Gründe hierfür erhoben werden. Die Handlungen der Privatperson können dabei laut Bundesgerichtshof entweder Indiz für ein gewolltes Festhalten an der Vereinbarung oder nur Ausdruck notgedrungener Vertragstreue sein.

Übereilte Beurkundung durch Notarin

Ein Mandant verlangte von einer ehemaligen Notarin Schadensersatz in Höhe von 78.500 Euro aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau. Die Juristin hatte im März 2008 den Kauf einer 55 qm großen vermieteten Eigentumswohnung zum Preis von 87.500 Euro an das Ehepaar beurkundet. 2013 verklagten sie die Verkäuferin und die Vermittlerin des Kaufvertrags wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung und sittenwidriger Überteuerung des Kaufpreises. Der Rechtsstreit endete 2015 mit einem Vergleich, durch den die Eheleute 9.000 Euro erhielten. Der Klient monierte, die Notarin habe vor der Beurkundung die Wartepflicht nach § 17 Abs. 2a BeurkG nicht eingehalten. Sie hätten den Vertragstext nicht vorab erhalten und den Kaufpreis erst bei der Beurkundung erfahren.

Vorinstanzen sind sich einig

Die Klage scheiterte sowohl beim LG Erfurt als auch beim OLG Jena. Die Umstände sprächen für eine späte Vertragsreue. Denn das Paar habe nach Vertragsabschluss alle Schritte zur Durchführung eingeleitet und die Mieten eingestrichen. Das Zuwarten sei als Zeichen für einen von der Verletzung der Regelfrist unabhängigen Vertragsabschluss im Jahr 2008 zu werten. Einer Beweisaufnahme habe es nicht bedurft, denn die Frage der notariellen Pflichtverletzung könne wegen fehlenden Zurechnungszusammenhangs dahinstehen. Die Revision zum BGH führte zur Zurückverweisung.

BGH: Pflicht zur Durchführung einer Beweisaufnahme

Die Karlsruher Richter kritisierten, das OLG habe entscheidungserhebliches Vorbringen des Mandanten rechtsfehlerhaft außer Betracht gelassen und sei nicht auf das Beweisangebot der Vernehmung seiner Ehefrau eingegangen. Laut BGH hat der Mann durch das Zeugnis seiner Ehefrau unter (Gegen-)Beweis gestellt, sie beide hätten vor der Beurkundung im März 2008 den Kaufpreis nicht gekannt. Bei vorheriger Kenntnis hätten die Bedenken seiner Partnerin bezüglich des Preises zum Verzicht auf den Kauf geführt. Dem III. Zivilsenat zufolge erscheint es damit als möglich, dass die Käufer bei Einhaltung der Wartepflicht den Vertrag gar nicht erst abgeschlossen hätten. Wie die auf den Vertragsschluss folgenden Maßnahmen der Eheleute zur Vertragserfüllung zu bewerten seien – Indiz für den unbedingten Entschluss zum Erwerb der Wohnung oder nur Ausdruck nolens volens geübter Vertragstreue –, könne aber erst nach Vernehmung der Zeugin beurteilt werden.

BGH, Urteil vom 22.04.2021 - III ZR 164/19

Redaktion beck-aktuell, 28. Mai 2021.