Beweiserhebung bei umstrittenem Wiederherstellungswert

Erhebt ein Kasko-Versicherer konkrete Einwände dagegen, dass ein Fahrzeug den Zustand hatte, den die Parteien, gestützt auf ein Gutachten, dem Vertrag zugrunde gelegt hatten, liegt in der Ablehnung eines Beweisangebots ein Gehörsverstoß. Laut Bundesgerichtshof muss über wirksam bestrittene Anknüpfungstatsachen Beweis erhoben werden. Eine Schätzung dürfe auf dieser Grundlage nicht erfolgen.

Versicherungsschutz bei Totalschaden durch Brand

Ein Versicherungsnehmer verlangte für seinen teilkaskoversicherten und durch Brand zerstörten Mercedes-Benz CLK 320 eine Entschädigung von rund 26.500 Euro. Laut A.2.2.1.1 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) der Beklagten bestand Versicherungsschutz bei Beschädigung, Zerstörung, Verlust oder Totalschaden des Fahrzeugs durch Brand. Im Juli 2017 ergab ein Bewertungsgutachten einen Wiederherstellungswert des Fahrzeugs von 27.000 Euro inklusive Mehrwertsteuer, da es durch Tuning zahlreiche Veränderungen aufwies. Dieser Wert war auch in einem Nachtrag zum Versicherungsschein vom Oktober 2017 als maximale Entschädigung angegeben. Im März 2018 wurde der Wagen vollständig ausgebrannt und zerstört an einer Landstraße aufgefunden. Zu diesem Zeitpunkt war der Benzfahrer im Ausland im Urlaub. Die Beklagte warf ihm Eigenbrandstiftung vor und behauptete, er habe versucht, über den Fahrzeugwert zu täuschen. Es habe sich in einem desolaten und nicht ordnungsgemäß nutzbaren Zustand befunden. Die gesamte Baureihe sei mangelhaft und werde nur zu Dumping-Preisen angeboten. Zudem gebe es einen Vorschaden von 3.500 Euro und am Wrack seien zahlreiche Reparaturspuren festgestellt worden.

OLG lehnt Beweisangebot der Beklagten ab

Sowohl das LG Hannover als auch das OLG Celle hielten die Assekuranz für leistungspflichtig, weil der Versicherungsfall infolge der Zerstörung des Fahrzeugs durch Brand eingetreten sei. Soweit die Beklagte Sachverständigenbeweis angeboten habe, dass der Wert des ungenutzt in einer Tiefgarage abgestellten Fahrzeugs entgegen dem Gutachten zu mindern sei, müsse dem Beweisantritt nicht nachgegangen werden. Dazu habe die Versicherung bereits nicht näher vorgetragen. Das OLG ließ die Revision nicht zu. Daraufhin erhob die Versicherung die Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH – mit Erfolg.

Rechtliches Gehör wurde verletzt

Der IV. Zivilsenat verwies die Sache ans OLG zurück. Indem es die Beklagte ohne weitere Sachaufklärung auf Grundlage des im Gutachten vom Juli 2017 ermittelten Wiederherstellungswerts zur Entschädigung verpflichtet und den angebotenen Sachverständigenbeweis zum Fahrzeugwert nicht erhoben habe, habe es den Kasko-Versicherer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). An den Beklagtenvortrag zu den wertbildenden Umständen habe es überhöhte Anforderungen gestellt. Das OLG hätte das Vorbringen der Versicherung zum Zustand des Fahrzeugs bereits nicht als unzureichend ansehen dürfen. Denn dessen gutachterlich als gut beschriebenem Zustand sei die Beklagte hinreichend entgegengetreten. Sie habe ihren Vortrag dahingehend konkretisiert, dass ein Sachverständiger ausdrücklich festgehalten habe, der Wagen habe im gesamten Karosseriebereich Instandsetzungen sowie Reparatur- und Umbauspuren aufgewiesen. Laut BGH war es falsch, dessen Wiederbeschaffungswert aufgrund der Zustandsbeschreibung im Gutachten zu schätzen. Über wirksam bestrittene Anknüpfungstatsachen hätte das OLG Beweis erheben müssen.

BGH, Beschluss vom 08.02.2023 - IV ZR 9/22

Redaktion beck-aktuell, 14. März 2023.