BGH bestätigt Freisprüche in zwei Fällen ärztlich assistierter Selbsttötungen

Der Bundesgerichtshof hat die Freisprüche zweier Ärzte bestätigt, die jeweils lebensmüden Personen bei ihren Selbsttötungen assistiert hatten. Einer Strafbarkeit für die von den Ärzten im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden stehe jeweils die Eigenverantwortlichkeit der Suizidwilligen entgegen. Die Ärzte hätten nach Einnahme der tödlichen Medikamente in ihrem Beisein auch keine Rettungsmaßnahmen einleiten müssen. Das Selbstbestimmungsrecht der Suizidwilligen schließe auch insofern eine Strafbarkeit aus (Urteile vom 03.07.2019, Az.: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18).

Freispruch bereits durch LG Hamburg und LG Berlin

Das LG Hamburg und das LG Berlin hatten jeweils einen der angeklagten Ärzte von dem Vorwurf freigesprochen, sich in den Jahren 2012 beziehungsweise 2013 durch die Unterstützung von Selbsttötungen sowie das Unterlassen von Maßnahmen zur Rettung der bewusstlosen Suizidentinnen wegen Tötungsdelikten und unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht zu haben.

Hamburger Verfahren: Arzt begleitete Suizid zweier älterer Frauen

Nach den Feststellungen im Urteil des LG Hamburg litten die beiden miteinander befreundeten, 85 und 81 Jahre alten suizidwilligen Frauen an mehreren nicht lebensbedrohlichen, aber ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten. Sie wandten sich an einen Sterbehilfeverein, der seine Unterstützung bei ihrer Selbsttötung von der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit abhängig machte. Dieses erstellte der Angeklagte, ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Er hatte an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche keine Zweifel. Auf Verlangen der beiden Frauen wohnte der Angeklagte der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei und unterließ es auf ihren ausdrücklichen Wunsch, nach Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit Rettungsmaßnahmen einzuleiten.

LG Hamburg: Wegen Freiverantwortlichkeit der Suizide keine Rettungspflicht

Das LG Hamburg hat den Angeklagten aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen freigesprochen. Beide Frauen hätten die alleinige Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt. Der Angeklagte sei aufgrund der ihm bekannten Freiverantwortlichkeit der Suizide auch nicht zu ihrer Rettung verpflichtet gewesen. Anhaltspunkte für eine nach Einnahme der Medikamente eingetretene Änderung des Willens der beiden Frauen konnte das LG nicht feststellen.

Berliner Verfahren: Arzt begleitete 44-Jährige bei zweieinhalb Tage dauerndem Sterben

Gemäß den Feststellungen im Urteil des LG Berlin hatte der Angeklagte als Hausarzt einer Patientin Zugang zu einem in hoher Dosierung tödlich wirkenden Medikament verschafft. Die 44-jährige Frau litt seit ihrer Jugend an einer nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Erkrankung und hatte den Angeklagten - nachdem sie bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen hatte - um Hilfe beim Sterben gebeten. Der Angeklagte betreute die nach Einnahme des Medikaments Bewusstlose - wie von ihr zuvor gewünscht - während ihres zweieinhalb Tage dauernden Sterbens. Hilfe zur Rettung ihres Lebens leistete er nicht.

LG Berlin: Weder Bereitstellung der Medikamente noch unterlassene Rettung strafbar

Das LG Berlin hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit sei er nicht verpflichtet gewesen. Denn die freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Verstorbenen habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen.

BGH verneint Strafbarkeit der Ärzte wegen im Vorfeld geleisteter Beiträge zu Suiziden

Der 5. Strafsenat des BGH hat die Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen und damit die beiden freisprechenden Urteile bestätigt. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden Fällen hätten die LG rechtsfehlerfrei keine die Eigenveranwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. Deren Sterbewünsche hätten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden "Lebensmüdigkeit" beruht und seien nicht Ergebnis psychischer Störungen gewesen.

BGH verneint auch Rettungspflicht der jeweiligen Ärzte

Beide Angeklagte waren laut BGH nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens habe schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfahren sei jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden gewesen.

Selbstbestimmungsrecht steht auch unterlassener Hilfeleistung entgegen

Eine in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht nach § 323c StGB sei nicht in strafbarer Weise verletzt worden, so die Richter weiter. Da die Suizide, wie die Angeklagten gewusst hätten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, seien Rettungsmaßnahmen entgegen deren Willen nicht geboten gewesen.

Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung noch nicht in Kraft

Am Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) war das Verhalten der Angeklagten nach Angaben des BGH wegen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht zu messen, da dieser Tatbestand zur Zeit der Suizide noch nicht in Kraft gewesen sei.

Mögliche Verletzung ärztlicher Berufspflichten für Strafrecht irrelevant

Dass die Angeklagten mit der jeweiligen Leistung von Hilfe zur Selbsttötung möglicherweise ärztliche Berufspflichten verletzt haben, sei für die Strafbarkeit ihres Verhaltens im Ergebnis nicht von Relevanz.

Marburger Bund kritisiert Urteil

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund hat die Entscheidung kritisiert. Das Urteil löse keine Probleme, sondern schaffe neue, erklärte der Erste Vorsitzende Rudolf Henke. Es gebe einen deutlichen Widerspruch zu den berufsrechtlichen Grundsätzen der Mediziner. "Wenn wir Ärztinnen und Ärzte in unseren Grundsätzen von Sterbebegleitung sprechen, meinen wir Beistand und Fürsorge für Menschen, die den Tod vor Augen haben. Sterbebegleitung kann und darf aber keine Hilfe zur Selbsttötung sein", erklärte Henke. Eine schleichende Legalisierung des ärztlich begleiteten Suizids, wie sie im Urteil des BGH zum Ausdruck komme, sende sehr problematische Signale in die Gesellschaft. "Wer alt und krank ist, darf nicht auf den Gedanken kommen, er würde anderen zur Last fallen, um dann den vermeintlichen Ausweg Suizid zu wählen." Hinter einem Sterbewunsch verberge sich häufig seelische Not. Ärzte seien gefordert, Menschen Wege zum Weiterleben aufzuzeigen.

BGH, Urteil vom 03.07.2019 - 5 StR 132/18

Redaktion beck-aktuell, 4. Juli 2019.