BGH bestätigt Freispruch im Fall des Göttinger Organspendenskandals

Im Prozess um Manipulationen bei Organverpflanzungen an der Göttinger Uniklinik hat der Fünfte Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig den Freispruch des angeklagten Göttinger Transplantations-Chirurgen bestätigt und damit die Revision der Staatsanwaltschaft verworfen, die unter anderem auf versuchten Totschlag plädiert hatte (Urteil vom 28.06.2017, Az.: 5 StR 20/16).

Falschangaben verbesserten Listenplätze der Patienten

Laut Landgericht hat der Angeklagte in sechs Fällen falsche Angaben gegenüber Eurotransplant veranlasst, um die Aussichten seiner Patienten auf eine Organzuteilung zu erhöhen ("Manipulationsfälle"). Das geschah laut LG in der Weise, dass wahrheitswidrig zuvor mitgeteilt worden war, es seien kurz vor der Meldung zwei Nierenersatztherapien durchgeführt worden. Das führte dazu, dass ein für die Chance auf Erlangung von Organen entscheidender Blutwert zu hoch bemessen wurde. Die Patienten des Angeklagten nahmen deshalb an den zum Organangebot führenden "Match-Verfahren" auf einem ihnen an sich nicht gebührenden höheren Listenplatz teil. Deswegen wurden ihnen Organe zugeteilt und übertragen, die sie ohne die Falschangaben nicht erhalten hätten.

Zu frühe Aufnahme zweier Alkoholkranker in Warteliste

In zwei weiteren Fällen lag dem Angeklagten laut LG ausschließlich zur Last, die Aufnahme von Patientinnen in die Warteliste bewirkt zu haben, obwohl dem eine Bestimmung in den zur Tatzeit geltenden Richtlinien der Bundesärztekammer zwingend entgegengestanden hatte ("Wartelistenfälle"). Danach durften Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose erst nach Ablauf einer Alkoholabstinenzzeit von sechs Monaten in die Warteliste aufgenommen werden. Wie der Angeklagte wusste, war diese Voraussetzung bei beiden Patientinnen nicht erfüllt. Diese hätten die vorgeschriebene Abstinenzzeit ohne Transplantation allerdings nicht überlebt.

Medizinische Motivation des Arztes - Keine ungebührlichen Gegenleistungen

In allen Fällen waren die Lebertransplantationen wegen des lebensbedrohlichen Zustandes der Patienten dringlich. Sie wurden zu Heilzwecken und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt. Es waren keine Anhaltspunkte vorhanden, dass der Angeklagte für die regelwidrige Verschaffung von Spenderlebern von seinen Patienten oder Dritten ungebührliche Gegenleistungen erhielt.

LG sieht keinen Anhaltspunkt für Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatz

Das Landgericht hatte den Angeklagten aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen freigesprochen. Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft sah es keinen Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatz gegeben. Der Angeklagte habe begründet darauf vertraut, dass etwa "übersprungene" Patienten keinen gesundheitlichen Schaden erleiden oder gar versterben würden. Zudem sei unter anderem die Bestimmung zur Alkoholkarenzzeit verfassungswidrig.

Staatsanwaltschaft sieht versuchten Totschlag

Die Staatsanwaltschaft sah dies anders. Sie hatte dem Angeklagten vorgeworfen, im Zug von in den Jahren 2010 und 2011 durchgeführten Lebertransplantationen durch Verletzung von Regeln zur Verteilung von postmortal gespendeten Lebern versuchten Totschlag in elf Fällen und aufgrund nicht gegebener medizinischer Indikation Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen begangen zu haben. Die Staatsanwaltschaft beanstandete in der Revision die Freisprechung des Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlages in acht Fällen.

BGH verneint Tatentschluss des Arztes

Der Fünfte Strafsenat verwarf die Revision der Staatsanwaltschaft. Die revisionsgerichtliche Überprüfung habe zur Ablehnung eines Tatentschlusses keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergeben. Die Annahme des Tatentschlusses würde voraussetzen, dass der Angeklagte in der Vorstellung gehandelt habe, ein wegen der "Manipulation" benachteiligter Patient würde bei ordnungsgemäßem Verlauf und Zuteilung sowie Übertragung der konkreten Leber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überleben und ohne die Transplantation versterben (Totschlag) bzw. eine Verschlimmerung oder Verlängerung seiner Leiden erfahren (Körperverletzung).

Hohes Sterberisiko auch nach einer Transplantation

Von einem solchen Vorstellungsbild des im Transplantationswesen versierten Angeklagten könne jedoch nicht ausgegangen werden. Dies gelte schon mit Blick auf das mit 5-10% hohe Risiko, während oder unmittelbar nach der Transplantation zu versterben, gab der BGH zu bedenken. Hinzu kämen die jeweils nicht fernliegenden Möglichkeiten der Nichteignung des Organs für den oder die "übersprungenen" Patienten, aktuell fehlender Operationsmöglichkeiten im jeweiligen Transplantationszentrum, eines stabilen Zustands der Patienten oder der Notwendigkeit einer Retransplantation wegen Abstoßung der übertragenen Leber. Aber auch die Aussicht, dass es Patienten ohne Vornahme der Transplantation besser gehen könne, habe das Landgericht als nicht nur theoretisch bezeichnet.

In "Wartelistenfällen" keine Bestrafung möglich

In Bezug auf die "Wartelistenfälle" ist der Bundesgerichtshof darüber hinaus der Auffassung der Schwurgerichtskammer im Ergebnis gefolgt, dass eine Verletzung der Richtlinienbestimmung zur sechsmonatigen Alkoholabstinenzzeit nicht strafrechtsbegründend wirken könne. Es fehle an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung im Transplantationsgesetz, so dass eine Bestrafung des Angeklagten wegen Totschlags oder Körperverletzung gegen das Gesetzlichkeitsprinzip gemäß Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen würde.

Richtlinienbestimmung über Abstinenzzeit unbeachtlich

Überdies erscheint laut BGH die Transplantation nach den Darlegungen des umfassend sachverständig beratenen Landgerichts auch bei Alkoholkranken erfolgversprechend, die die Abstinenzzeit nicht eingehalten haben. Die Bestimmung sei deshalb jedenfalls insoweit strafrechtlich unbeachtlich, als sie Alkoholkranke von der Transplantation selbst dann ausschließe, wenn diese die Abstinenzzeit nicht überlebt hätten.

BGH, Urteil vom 28.06.2017 - 5 StR 20/16

Redaktion beck-aktuell, 29. Juni 2017.