Schöffe bleibt Schöffe

Gesetzliche Richter sind jene Schöffen, die für den Tag des "Aufrufs zur Sache" bestimmt worden sind. Wird die weitere Verhandlung auf spätere Termine verschoben, bleiben sie es trotzdem. Damit scheiterte vor dem BGH die Revision eines Drogendealers.

Am LG Köln startete der Prozess gegen eine Bande von Kokainhändlern etwas chaotisch: Der Dealer, der jetzt mit seiner Revision vor dem BGH scheiterte, sein jüngerer Bruder sowie zwei weitere Personen hatten sich Einkauf, Portionierung, Verkauf und Auslieferung des Betäubungsmittels geteilt. Die Kundenbestellungen nahmen sie über ein "Verkaufshandy" entgegen, der Vorrat wurde in einem Tresor in der Wohnung des Hauptangeklagten aufbewahrt. Den Gewinn von rund 14 Euro je Gramm teilte sich das nun nur noch geladene Trio. Bei einer Durchsuchung der Räumlichkeiten waren 100 Gramm des illegalen Stoffs mit einem Reinheitsgehalt von rund 82% sichergestellt worden. Ein Drittel war allerdings für den eigenen Konsum gedacht.

So weit eigentlich Routine für die Strafjustiz. Doch dann bekam der Vorsitzende der Strafkammer Corona. Sein Stellvertreter verschob den Starttermin der Verhandlung um zwei Wochen aus dem März auf den 8.4.2022 und legte auch gleich sechs weitere Verhandlungstage fest. Das Problem: Der Auftakttermin war kein regulärer Sitzungstermin dieser Kammer, und der Vize teilte deshalb zwei Ersatzschöffen ein. Eine weitere Komplikation: Drei Tage, bevor es dann wirklich losgehen sollte, teilte der Verteidiger eines Mitangeklagten mit, dieser befinde sich im Gefängnis in Quarantäne. Am 7.4.2022 wurde er dann positiv auf Covid getestet und konnte nicht vorgeführt werden. Daraufhin wurde sein Verfahren auf später verschoben. Der mittlerweile offenbar wieder genesene Vorsitzende mailte daraufhin allen Beteiligten, er halte am 8.4.2022 fest, um zumindest ein Rechtsgespräch zu führen, und lud den Sachverständigen wieder ab.

Nun kam die Strafrechtsmühle ins Laufen. An jenem Tag rief der Kammervorsitzende um 12.49 Uhr die Sache zur Verhandlung auf. Die anwesenden Personen, inklusive der ersatzweise benannten Laienrichter, wurden im Protokoll notiert und weitere Verteidiger bestellt. Nach sechs Minuten war die Veranstaltung beendet, zwei Folgetermine wurden storniert und der Fortgang auf den 26.4.2022 festgesetzt. Nur ein nichtöffentliches Rechtsgespräch wurde einschließlich der Schöffen geführt.

"Gesetzlicher Richter trotz Verschiebung"

Am zweiten Verhandlungstag – also Ende April – wurde der Anklagesatz verlesen, und die Angeklagten äußerten sich erstmals zur Sache. Einwände erhob keiner der Beteiligten. Anders erst viel später gegenüber den obersten Strafrichtern: Der Hauptangeklagte bemängelte, man habe ihm den gesetzlichen Richter vorenthalten (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), was ein absoluter Revisionsgrund sei (§ 338 Nr. 1 StPO). Der 8.4.2022 sei ein bloßer "Scheintermin" gewesen, denn weder habe man zur Sache verhandelt noch den in § 243 StPO vorgesehenen "Gang der Hauptverhandlung" beherzigt. In Wirklichkeit sei alles erst am 26.4.2022 in Gang gekommen, und für diesen ordentlichen Sitzungstag seien im Plan zwei andere Laienrichter vorgesehen gewesen.

Das hielt den 2. Strafsenat in Karlsruhe nicht davon ab, das Prozedere gutzuheißen (Urteil vom 17.01.2024 – 2 StR 459/22). "Die Hauptverhandlung hat am 8.4.2022 mit dem Aufruf der Sache begonnen; damit waren die für diesen Sitzungstag bestimmten Schöffen D. und B. zur Verhandlung und Entscheidung in der Sache berufen", heißt es in dem Urteil. Den Beginn knüpfe § 243 Abs. 1 S. 1 StPO ausschließlich an den Aufruf der Sache – weitere Erfordernisse, die konstitutiv wären, nenne das Gesetz nicht. Weder sei ein "materieller Gehalt" des Verhandlungstags erforderlich noch das Erscheinen von zur Teilnahme verpflichteten Personen.

Auch dass § 230 Abs. 1 StPO bestimmt: "Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt." focht die Bundesrichter nicht an. Die Vorschrift verbiete nämlich nur die "Durchführung" einer Hauptverhandlung, und die fange erst ab dem Aufruf zur Sache an. Für eine Manipulation, die das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 101 Abs. 1 GG verletzt, genüge nicht jede fehlerhafte Gesetzesanwendung: "Durch einen bloßen error in procedendo wird niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen." Im Rahmen von Beschleunigungsgrundsatz und Konzentrationsmaxime dürften Vorsitzende frei entscheiden, ob sie bei entschuldigter Abwesenheit eines Angeklagten zur Sache aufrufen oder den Termin verlegen.

BGH, Urteil vom 17.01.2024 - 2 StR 459/22

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 5. April 2024.