Berufsrisikotypische Verletzung schließt deliktische Haftung nicht aus

Erleidet ein Polizist bei einem Einsatz eine posttraumatische Belastungsstörung, ist eine Haftung des Schädigers aus Delikt möglich. Die Ausbildung des Beamten führt zwar laut Bundesgerichtshof zu einer Verringerung der Verletzungsgefahren im Berufsalltag, rechtfertigt aber keine Gleichsetzung des Berufsrisikos mit dem allgemeinen Lebensrisiko, das die deliktische Haftung ausschließt.

Polizist beim Einsatz verletzt

Im November 2015 erreichte die Polizei ein Notruf wegen einer tätlichen Auseinandersetzung in einer Cocktailbar. Bei dem Einsatz verletzte der Schädiger einen Beamten nicht nur am Daumen, der Polizist erlitt auch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), infolge derer er dauerhaft dienstunfähig wurde. Der Verursacher wurde strafrechtlich wegen dieser vorsätzlich begangenen Körperverletzung verurteilt. Das Land Niedersachsen forderte von ihm aus abgetretenem Recht Schadensersatz (vor allem Verdienstausfall) in Höhe von rund 105.000 Euro. Das Landgericht Stade hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht Celle aber wies die Klage hinsichtlich der psychischen Beeinträchtigung ab. Das Land verfolgte seinen Anspruch vor dem Bundesgerichtshof weiter - mit Erfolg.

PTBS ist eine Gesundheitsverletzung

Erleidet ein Mensch aufgrund eines schädigenden Verhaltens eine psychische Beeinträchtigung, kommt eine Haftung in Betracht, wenn diese Beeinträchtigung einen Krankheitswert besitzt - also eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellt. Eine posttraumatische Belastungsstörung erfüllt diese Voraussetzung laut dem VI. Zivilsenat.

Berufsrisiko der Polizisten

Das Risiko einer Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten ist dem Schädiger laut BGH grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos zuzuordnen. Polizisten würden besonders auf die physischen und psychischen Gegebenheiten im Berufsalltag vorbereitet. Dadurch werde auch die Verletzungsgefahr im Vergleich zu Laien verringert. Das rechtfertige jedoch keinen Ausschluss der deliktischen Haftung: Es gebe keinen Grund, zwischen physischen und psychischen Primärschäden eines Einsatzes zu differenzieren. Auch bei den körperlichen Verletzungen gebe es trotz Trainings und Schutzkleidung keinen Haftungsausschluss. Wenn der Beamte dann trotz aller professionellen Vorbereitung verletzt werde, weil das Erlebnis für seine individuelle körperliche oder psychische Verfassung zu belastend ist, rechtfertige dies erst recht keine Risikoverlagerung auf ihn. Der BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache an das OLG zurück.

Zurechnungszusammenhang bei psychischer Gesundheitsverletzung

Um die Haftung in solchen Fällen einzugrenzen, sollen nach Ansicht des BGH normale Belastungen, auf die sich der Mensch im Leben einrichten muss, ausgeschieden werden: Dieses allgemeine Lebensrisiko falle daher nicht in die Schadensersatzpflicht. Bei einem Polizisten werde regelmäßig unterschieden, ob ihm beispielsweise die unmittelbare Beteiligung an einem Unfall durch einen Einsatzbefehl aufgezwungen werde oder ob er zufällig anwesend sei (allgemeines Lebensrisiko). Hinzu komme noch der "Filter der Adäquanz" zur Ausgrenzung der Kausalverläufe, die dem Verantwortlichen billigerweise nicht mehr zugerechnet werden könnten. Und schließlich müsse sich auch noch der Verschuldensvorwurf gegen den Verursacher auf die Folge erstrecken.

BGH, Urteil vom 08.12.2020 - VI ZR 19/20

Redaktion beck-aktuell, 21. Januar 2021.