Berliner Zwillingsfall: Schuldspruch wegen Totschlags gegen Geburtsmediziner bestätigt

Der Bundesgerichtshof hat im Berliner Zwillingsfall den Schuldspruch gegen zwei Geburtsmediziner wegen gemeinschaftlichen Totschlags bestätigt. Auch bei einer Indikation für den selektiven Abbruch einer Zwillingsschwangerschaft sei es strafbar, wenn mittels Kaiserschnitts zunächst das gesunde Kind entbunden und im unmittelbaren Anschluss daran der schwer geschädigte Zwilling getötet wird.

LG verurteilte Mediziner zu Bewährungsstrafen

Das Landgericht Berlin hat die beiden angeklagten Geburtsmediziner wegen Totschlags (in minder schwerem Fall) zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten beziehungsweise einem Jahr und neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Indikation für selektiven Abbruch gegeben

Nach den Feststellungen des LG war eine Frau mit Zwillingen schwanger. Während der Schwangerschaft entwickelten sich Komplikationen. In deren Folge erlitt ein Zwilling schwere Hirnschäden, während sich der andere überwiegend normal entwickelte. Nach Beratung wurde die Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch bezüglich des geschädigten Zwillings nach § 218a Abs. 2 StGB gestellt. Ein solcher Abbruch kann bei entsprechender Indikation straffrei bis zur Geburt vorgenommen werden. Dieser spezielle Eingriff (selektiver Fetozid) ist aber mit Risiken für den anderen Zwilling verbunden. Er wurde zur Tatzeit 2010 nur von sehr wenigen spezialisierten Kliniken mittels einer besonderen Methode durchgeführt. Die Mutter wollte den Abbruch vornehmen lassen, fühlte sich in der von ihr aufgesuchten Spezialklinik aber nicht gut betreut.

Tötung schwer geschädigten Zwillings erst nach Geburt

Sie wandte sich schließlich an die Angeklagte. Diese war als leitende Oberärztin in einer von dem Mitangeklagten geleiteten Klinik für Geburtsmedizin tätig. Das zu dieser Zeit gebräuchliche Verfahren zum selektiven Abbruch einer Zwillingsschwangerschaft wurde dort nicht angewendet. Stattdessen entwickelte die Angeklagte in Einvernehmen mit dem Mitangeklagten und der Mutter den Plan, mittels Kaiserschnitts zunächst das gesunde Kind zu entbinden und im unmittelbaren Anschluss daran den schwer geschädigten Zwilling zu töten. Nachdem sich bei der Mutter Wehen eingestellt hatten, gingen beide Angeklagte wie geplant vor und töteten nach Entbindung des gesunden Zwillings den lebensfähigen, aber schwer hirngeschädigten verbleibenden Zwilling durch Injektion einer Kaliumchlorid-Lösung. Dabei war ihnen bewusst, dass sie sich über geltendes Recht hinwegsetzen und einen Menschen töten würden. Erst mehrere Jahre später wurde die Staatsanwaltschaft durch eine anonyme Anzeige auf das Geschehen aufmerksam.

BGH bestätigt Vorliegen strafbaren Tötungsdelikts

Der BGH hat die Revisionen der Angeklagten überwiegend verworfen. Insbesondere hat er den Schuldspruch wegen gemeinschaftlichen Totschlags bestätigt. Die hierzu getroffenen Feststellungen beruhten auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Auch nach Auffassung des BGH stellt die Tötung des lebensfähigen schwer geschädigten Zwillings ein strafbares Tötungsdelikt und nicht lediglich einen bei entsprechender Indikation straffreien Schwangerschaftsabbruch dar.

Kein Schwangerschaftsabbruch mehr

Die Regeln über den Schwangerschaftsabbruch gölten nur bis zum Beginn der Geburt. Die Geburt beginne bei einer Entbindung mittels Kaiserschnitts mit der Eröffnung der Gebärmutter, wenn das Kind damit vom Mutterleib getrennt werden soll. Dies gilt laut BGH unabhängig davon, ob ein Kind oder mehrere Kinder betroffen sind.

Über Höhe der Strafen neu zu verhandeln

Allerdings hat der BGH die vom LG verhängten Strafen aufgehoben, weil den Angeklagten zur Last gelegt wurde, dass sie die Tat geplant und nicht in einer Notfallsituation begangen haben. Dieser Gesichtspunkt sei bei einer medizinischen Operation kein zulässiger Erschwerungsgrund. Während der Schuldspruch wegen Totschlags rechtskräftig ist, muss über die Höhe der Strafen deshalb noch einmal neu verhandelt werden.

BGH, Beschluss vom 11.11.2020 - 5 StR 256/20

Redaktion beck-aktuell, 4. Januar 2021.