Ewiges Widerspruchsrecht: BGH bekräftigt Treu-und-Glauben-Grenze

Der BGH hat einer Versicherten nach 19 Jahren trotz fehlerhafter Belehrung ein Widerspruchsrecht gegen einen Lebensversicherungsvertrag nach Treu und Glauben abgesprochen, weil sie noch am Tag des Abschlusses ihre Ansprüche sicherungsabgetreten hatte. Die Versicherung habe dann auf den Bestand des Vertrages vertrauen dürfen.

Die Versicherte hatte 1999 nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG a.F. eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen und war nicht ordnungsgemäß belehrt worden. Gleich am Tag des Abschlusses trat sie ihre Ansprüche aus der Versicherung zur Sicherung eines Baudarlehens an eine Bank ab. Erst 2018 widersprach sie dem Abschluss der Lebensversicherung und verlangte die Rückzahlung der geleisteten Beiträge und die Herausgabe von Nutzungen abzüglich Risikokosten, insgesamt fast 114.000 Euro.

Zu Unrecht, wie der IV. Zivilsenat befand. Zwar folge aus der fehlerhaften Belehrung regelmäßig, dass die Widerspruchsfrist nicht zu laufen begonnen habe und Widerspruch und Rückabwicklung damit auch nach 19 Jahren noch möglich seien. Dieser Grundsatz erfahre aber Einschränkungen nach Treu und Glauben, wenn ein Einzelfall besonders gravierende Umstände aufweise. Dies sei hier der Fall.

Enger zeitlicher Zusammenhang entscheidend

Die Annahme besonders gravierender Umstände billigt der Senat nur in wenigen Konstellationen. Ein Beispiel hierfür sei die Sicherungsabtretung einschließlich der Todesfallleistung in engem Zusammenhang mit dem Abschluss eines Darlehensvertrages. Allein der einmalige Einsatz der Lebensversicherung als Kreditsicherungsmittel reiche noch nicht, weil der Versicherer daraus noch nicht folgern dürfe, dass der Versicherungsnehmer auch in Kenntnis seines Lösungsrechtes vom Vertrag an diesem festgehalten und von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht hätte.

Hingegen kann laut BGH ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrages  etwa bei einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung oder bei einer mehrfachen Abtretung angenommen werden. Der Versicherer habe hier darauf vertrauen dürfen, dass der Vertrag wirksam ist. Die Sicherungsabtretung könne nur bei Bestehen eines wirksamen Lebensversicherungsvertrages ihren Zweck erfüllen.

EuGH-Vorlage nicht nötig

Zum Einwand von Treu und Glauben ist nach Auffassung des BGH auch keine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union geboten. Er habe bereits entschieden und im Einzelnen begründet, dass auch im Falle einer unterstellten Unionsrechtswidrigkeit des Policenmodells zum Einwand von Treu und Glauben eine Vorlage nicht erforderlich sei, wenn dem (im Wesentlichen) ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrten Versicherungsnehmer nach jahrelanger Durchführung des Vertrages die Berufung auf dessen angebliche Unwirksamkeit nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt wird.

Aber auch bei einer nicht nur geringfügig fehlerhaften oder fehlenden Widerspruchsbelehrung gelte, dass die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der EuGH-Rechtsprechung geklärt seien. Die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens stehe in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang mit dieser Rechtsprechung.

Die Anwendung auf den Einzelfall obliege dem nationalen Gericht und beeinträchtige hier die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht.

BGH, Urteil vom 19.07.2023 - IV ZR 268/21

Redaktion beck-aktuell, Jörg von Heinemann, 17. August 2023.