Beiziehung von Strafakten im Zivilprozess

Grundsätzlich sind Strafakten im Zivilprozess beizuziehen, wenn der Beweisführer einen entsprechenden Vorlegungsanspruch hat. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass die Grundrechte der Gegenpartei dem in der Regel nicht entgegenstehen. Ihnen könne dadurch Rechnung getragen werden, dass das Gericht nach Erhalt der Akte die gegenseitigen Interessen abwägt und nur beschränkten Zugriff der Parteien erlaubt.

Bankkonto des Partners geplündert?

Ein Mann erlitt einen schweren Motorradunfall und lag im Krankenhaus. Er bat seine Freundin, ihm Geld von seinem Konto abzuheben. Dazu gab er ihr seine Karte und teilte ihr seine PIN mit. Sie hob 1.500 Euro ab und händigte ihm das Geld aus. In den folgenden fünf Monaten erfolgten 49 weitere Abhebungen von seinem Konto in Höhe von insgesamt rund 43.000 Euro. Der Mann beschuldigte seine frühere Partnerin, ihm jeweils seine Karte gestohlen und diese Beträge ohne sein Wissen und Wollen abgehoben zu haben. Er erstattete Strafanzeige gegen sie. Im Ermittlungsverfahren holte die Staatsanwaltschaft Bankauskünfte der Frau ein und legte hierfür einen Sonderband "Bankauskunft" an. Eine Einsicht des Geschädigten in diesen Band lehnte sie aber ab. Im Endeffekt stellte sie das Strafverfahren sogar ein. Daraufhin forderte der Mann vor dem Landgericht Regensburg die Erstattung der Summe von seiner Freundin sowie die Feststellung, dass die Forderung auf vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen nach § 302 Nr. 1 InsO beruhe. Er beantragte erfolglos, die Strafakte – insbesondere den Sonderband Bankauskunft – beizuziehen. Das Landgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht Nürnberg sprach ihm 12.000 Euro zu und wies die Klage im Übrigen ab. Vor dem Bundesgerichtshof erzielte der Geschädigte einen Teilerfolg.

Sonderband muss beigezogen werden

Nach § 474 Abs. 1 StPO erhält ein Gericht Akteneinsicht, wenn es notwendig ist, so der BGH. Da das OLG an den Angaben der Beklagten über die Anzahl der Abhebungen vom Konto des Geschädigten zweifelte, und diese Angaben für den Anspruch für erheblich erachtete, hätte es laut den Karlsruher Richtern dem Beweisantrag auf Beiziehung des Sonderbandes nach § 432 Abs. 1 ZPO stattgeben müssen. Wenn sich aus den Bankauskünften ein Zusammenhang aus den Abhebungen einerseits und Einzahlungen auf ihrem Konto andererseits ergeben hätte, könne dies als Indiz für eine unrechtmäßige Abhebung durch die Beklagte bewertet werden. Daher geht der III. Zivilsenat auch davon aus, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht, und verwies die Sache zur Neuentscheidung zurück.

Berücksichtigung der Rechte Dritter

Um dem Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen, kann das Gericht laut dem III. Zivilsenat nach Erhalt der beigezogenen Strafakte die gegenseitigen Interessen abwägen und auf diese Weise prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Informationen hieraus Eingang in das zivilrechtliche Verfahren finden.

BGH, Urteil vom 16.03.2023 - III ZR 104/21

Redaktion beck-aktuell, 24. April 2023.

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