BGH: Beitragsforderung für Trinkwasseranschluss gegen "Altanschließer" in Brandenburg nicht verjährt

Der unter anderem für das Amts- und Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 27.06.2019 über einen gegen einen brandenburgischen Wasser- und Abwasserzweckverband geltend gemachten Schadenersatzanspruch entschieden, der auf die Rückerstattung eines Beitrags für einen Trinkwasseranschluss gerichtet war. Die Beitragsforderung des Zweckverbands sei nicht verjährt, so die Richter. Allerdings sei noch zu klären, ob in dem Bescheid unzulässig Beiträge für Maßnahmen verlangt wurden, die vor dem 03.10.1990 erbracht waren (Az.: III ZR 93/18). Laut BGH hat das Verfahren Pilotcharakter für zahlreiche noch anhängige Verfahren in Brandenburg.

Beitrag für Anschluss wurde erst nach mehr als elf Jahren festgesetzt

Die Kläger sind Eigentümer eines in Brandenburg belegenen Grundstücks, das vor dem 01.01.2000 an das kommunale Trinkwassernetz des beklagten Zweckverbandes angeschlossen wurde. Mit Bescheid vom 15.11.2011 setzte der Beklagte unter Bezugnahme auf seine 2009 erlassene Beitragssatzung einen Anschlussbeitrag von 1.321,96 Euro gegen die Kläger fest. Ihr dagegen eingelegter Widerspruch blieb erfolglos. Von einer Klageerhebung sahen sie ab.

Ältere Satzungen waren häufig unwirksam

Nach 8 Abs. 7 Satz 2 des brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung vom 31.03.2004 (= KAG Bbg n.F.) entsteht eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Satzung. In § 8 Abs. 7 Satz 2 der zuvor geltenden Fassung des Kommunalabgabengesetzes (= KAG Bbg. a.F.) fehlte das Wort "rechtswirksamen". Das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg hatte diese Fassung des Gesetzes dahin ausgelegt, dass für das Entstehen der Beitragspflicht für ein Grundstück der Zeitpunkt des Erlasses der ersten Satzung mit formellem Geltungsanspruch maßgeblich war, unabhängig von ihrer materiellen Wirksamkeit. Abgaben dürften gemäß § 2 Abs. 1 KAG nur aufgrund einer Satzung erhoben werden. Sei diese Satzung - wie es seinerzeit nach der Rechtsprechung der brandenburgischen Verwaltungsgerichte häufig der Fall gewesen sei - materiell unwirksam, müsse eine spätere (wirksame) Satzung auf den Zeitpunkt des Erlasses der ersten unwirksamen Satzung zurückwirken.

Beitragspflicht entstand häufig nur für "juristische Sekunde"

Dies hatte zur Folge, dass die Beitragspflicht, die eine wirksame Satzung erforderte, in vielen Fällen nur für eine "juristische Sekunde" entstand und wegen sofort eintretender rückwirkender Festsetzungsverjährung gleich wieder erlosch. Denn auch die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG Bbg in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) begann danach mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem die Beitragspflicht (rückwirkend) entstanden war.

KAG-Neufassung sollte Beiträge rückwirkend sichern

Dadurch war es den Aufgabenträgern in vielen Fällen von vornherein nicht möglich, Beiträge für die den Bürgern zugeflossenen Vorteile zu erlangen. Dem wollte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg entgegenwirken, die nunmehr eine rechtswirksame Satzung als Voraussetzung für das Entstehen der Beitragspflicht ausdrücklich vorsah. Im Jahr 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht jedoch, dass die Anwendung der Neufassung des Gesetzes auf Fallgestaltungen, in denen unter Zugrundelegung der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur früheren Fassung der Norm Verjährung bereits eingetreten sei, zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung führe.

OLG verneinte Amtshaftungsanspruch

Daraufhin erhoben die Kläger nach einem erfolglos gebliebenen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens nach § 51 VwVfG Klage auf Schadenersatz in Höhe des geleisteten Beitrags nebst Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufungen des Beklagten und des auf seiner Seite dem Verfahren als Streithelfer beigetretenen Landes hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat einen Anspruch der Kläger sowohl auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 StHG als auch gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG verneint. Das Staatshaftungsgesetz sei nicht anwendbar, weil es nicht um einen Einzelfall rechtswidrigen Verwaltungshandelns gehe, sondern um legislatives Unrecht. Der Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB scheitere am fehlenden Verschulden der Amtsträger. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger.

BGH verweist Sache zurück

Der BGH hat auf die Revision der Kläger das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Anders als die Instanzgerichte hat der BGH entschieden, dass der an die Kläger gerichtete Beitragsbescheid nicht deswegen rechtswidrig ist, weil die Beitragsforderung infolge Festsetzungsverjährung nicht mehr hätte geltend gemacht werden dürfen. Entgegen der Rechtsprechung des OVG Brandenburg habe auch schon die alte Fassung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG für das Entstehen der Beitragspflicht und damit für den Beginn der Festsetzungsverjährung das Inkrafttreten einer rechtswirksamen Satzung vorausgesetzt. Dies habe im konkreten Fall zur Folge, dass der an die Kläger gerichtete Beitragsbescheid vom 15.11.2011 noch vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen war.

Mangels Parteienidentität BGH nicht an OVG-Rechtsprechung gebunden

Anders als verschiedentlich geltend gemacht, sieht sich der BGH nicht an die Rechtsprechung des OVG Brandenburg zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. gebunden. Vielmehr habe er eine eigenständige Auslegung dieser Norm vorzunehmen. Die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit seien im Schadenersatzprozess gegen die öffentliche Hand nur im Rahmen der Rechtskraftwirkung an verwaltungsgerichtliche Entscheidungen gebunden. Dies setze grundsätzlich die Identität zwischen den Parteien des Verwaltungs- und des Zivilprozesses voraus, die hier fehle.

Auch BVerfG-Entscheidung entfaltet keine Bindungswirkung

Auch die eingangs erwähnte Entscheidung des BVerfG entfalte insoweit keine Bindungswirkung, stellt der BGH klar. Ihr habe zwar die Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. durch das zuständige OVG zugrunde gelegen. Dessen Auslegung sei aber aufgrund der Funktionsverteilung zwischen der Fachgerichtsbarkeit und dem BVerfG von diesem im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Rückwirkung der neugefassten Norm nicht auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen gewesen. Gerade für Konstellationen wie der vorliegenden habe das BVerfG entschieden, dass die spätere, insbesondere höchstrichterliche Auslegung durch die Fachgerichte - wie hier - ergeben könne, dass die in Rede stehende Norm (hier § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F.) gerade so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich festgestellt wissen wollte, eine Rückwirkung der Neufassung der Vorschrift daher letztlich doch nicht vorliegt.

BGH führt Entstehungsgeschichte der Norm für seine Auslegung ins Feld

Die Auslegung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. durch den BGH ergebe sich nicht nur aus Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Vorschrift, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 7 Satz KAG Bbg a.F. Im Gesetzgebungsverfahren zur ersten Fassung der Norm habe sich der Gesetzgeber ausdrücklich an der wortgleichen Vorschrift im nordrhein-westfälischen Landesrecht orientiert. Nach der seinerzeitigen Auslegung dieser Norm durch die Rechtsprechung der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichte sei es nicht zweifelhaft gewesen, dass das Entstehen der Beitragspflicht eine in formeller und materieller Hinsicht wirksame Satzung voraussetzte. Dementsprechend habe der Landesgesetzgeber in Brandenburg anlässlich der Neufassung des § 8 Abs. 7 KAG Bbg zutreffend "klargestellt", dass er bereits bei Erlass der Vorgängernorm auch an die materielle Wirksamkeit der Beitragssatzung hat anknüpfen wollen.

Beitragsklarheit und -vorhersehbarkeit gebietet keine abweichende Betrachtung

Auch das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete verfassungsrechtliche Gebot der Beitragsklarheit und -vorhersehbarkeit gebietet nach Ansicht des BGH keine abweichende Betrachtung. Vielmehr halte sich die Inanspruchnahme der Kläger in dem vom Landesgesetzgeber zur Umsetzung dieses Grundsatzes gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 KAG Bbg (in der Fassung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes) vorgegebenen Rahmen. Danach dürften Anschlussbeiträge ungeachtet der Satzungslage nach Vollendung des 15. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage folgt, nicht mehr erhoben werden, wobei gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 KAG Bbg der Lauf der Frist bis zum 03.10.2000 gehemmt war, Beiträge damit erst ab dem 03.10.2015 nicht mehr festgesetzt werden durften.

Herstellungsbeiträge jedenfalls für erst nach Wiedervereinigung entstandene Aufwendungen zulässig

Dies begegne jedenfalls dann keinen rechtlichen Bedenken, wenn Herstellungsbeiträge erst für nach der Wiedervereinigung entstandene Aufwendungen erhoben werden. Dies werde durch die Vorschrift des § 18 Satz 1 KAG Bbg sichergestellt. Das Berufungsgericht werde unter Berücksichtigung dieser Grundsätze noch zu klären haben, ob der Inanspruchnahme der Kläger § 18 KAG Bbg entgegenstand, mithin die mit dem Beitrag abzugeltenden Investitionen sich auf nach dem 03.10.1990 entstandenen Aufwand beziehen.

BGH, Urteil vom 27.06.2019 - III ZR 93/18

Redaktion beck-aktuell, 27. Juni 2019.