Bei Terrorgefahr ist Observierung erlaubt
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Der Bundesgerichtshof hat erstmalig die Eingriffsschwelle im hessischen Gefahrenabwehrrecht näher definiert: Die Polizei muss die Persönlichkeit des Betroffenen umfassend würdigen – ergeben sich danach Anhaltspunkte dafür, dass er eine terroristische Straftat begehen wird, darf er observiert werden. Der Verdacht muss die Stärke des strafrechtlichen Anfangsverdachts nicht erreichen.

Terrorverdächtiger in Hessen?

Die Polizei in Hessen wollte Ende 2019 einen Mann längerfristig observieren, weil sie ihn verdächtigte, einen Terroranschlag zu planen. Ihr Verdacht basierte zwar auf Tatsachen, war aber nicht für einen Anfangsverdacht ausreichend. Die Beobachtung sollte primär dazu dienen, gegebenenfalls einen Anschlag zu verhindern. Das Amtsgericht F. lehnte den Antrag ab, weil es keinerlei konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erkennen konnte. Ein Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung und präzisierte, es sehe keine konkrete Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen werde. Die Polizei wandte sich mit ihrer Forderung an den BGH - mit Erfolg.

Eingriffsschwelle unterhalb des Anfangsverdachts

Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung auf und genehmigte die Observation nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 HSOG selbst. Die Voraussetzung, dass das Verhalten des Verdächtigen die konkrete Wahrscheinlichkeit begründe, er werde innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen, sei gegeben. Das Oberlandesgericht habe zu hohe Anforderungen an den Begriff "Wahrscheinlichkeit" angelegt. Wenn es etwa den Fall mit einem vergleiche, in dem der Betroffene aus einem islamistischen Ausbildungscamp zurückgekehrt sei, übersehe es, dass eine solche Reise bereits einen Anfangsverdacht (§ 152 StPO) für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a StGB begründe. Für die Gefahrenabwehr genüge jedoch ein Verdacht unterhalb dieser strafrechtlichen Schwelle.

Wo verläuft die Eingriffsschwellengrenze?

Die Voraussetzungen der Eingriffsnorm wurden laut BGH bislang noch nicht geklärt. Der Gesetzestext setze Vorgaben aus dem BVerfG-Urteil von 2016 zum BKAG um. Maßnahmen zur Verhütung von Straftaten basierten zwangsläufig auf einer Prognose. Bei der Gefahr eines Terroranschlags sind nach Ansicht der Karlsruher Richter an diese Voraussage keine hohen Anforderungen zu stellen - ein konkretes und zeitlich absehbares Geschehen müsse noch nicht erkennbar sein. Die Polizei müsse immer die betroffene Person im Blick behalten, ihre Persönlichkeit sei umfassend zu würdigen: so ihr bisheriges Verhalten, ihre Einstellung, ihre Verbindungen zu anderen Personen und weitere Umstände, die ihr gefährliches Denken oder Handeln stabilisieren oder bestärken könnten. Diese Tatsachen seien Grundlage zur Beurteilung einer terroristischen Gefahr, die die Observation bereits im sogenannten Gefahrenvorfeld erlauben könne. Allein die Tatsache, dass sich der Betroffene zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühle, sei allerdings nicht ausreichend.

Orientierung an Abschiebungsrechtsprechung des BVerwG

Die Karlsruher Richter orientierten sich an der Rechtsprechung des BVerwG, der in § 58a AufenthG ebenfalls mit dem Begriff der terroristischen Gefahr umgeht: Dort sei die sofort vollziehbare Abschiebung ohne Ausweisung und ohne Androhung als Maßnahme der Gefahrenabwehr erlaubt. Da die Abschiebung eine viel schwerwiegendere Maßnahme als die polizeiliche Beobachtung ist, findet der Anwender dort zahlreiche Beispiele für die Beurteilung einer Maßnahme nach dem § 15 HSOG.

BGH, Beschluss vom 10.06.2021 - 3 ZB 1/20

Redaktion beck-aktuell, 15. November 2021.