Behandlungsdokumentation: Keine positive Beweisvermutung

Eintragungen in einer Patientenakte sind nur ein Indiz und führen nicht zu einer Beweislastumkehr. Damit musste ein beklagter Arzt in einem vom BGH entschiedenen Fall nur Zweifel an der Richtigkeit der Notiz wecken, nicht aber ihre Fehlerhaftigkeit beweisen.

Eine Kranken- sowie eine Pflegekasse verklagten unter anderem eine in einem Krankenhaus betriebene Frauenarztpraxis und den behandelnden Assistenzarzt auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht des bei ihnen versicherten Kindes wegen behaupteter Behandlungsfehler bei dessen Geburt im Jahr 2009. Es wurde leblos geboren, musste reanimiert werden und leidet an einer irreversiblen Hirnschädigung.

Nachdem die Mutter am Tag der Geburt mit Wehen gegen 11.00 Uhr in die Klinik gegangen war, wurden die Herztöne des Kindes von einer Beleghebamme K mehrfach per CTG (Kardiotokografie) aufgezeichnet. Obwohl die Ergebnisse ab 15.00 Uhr pathologisch, ab 15.30 Uhr eindeutig pathologisch und ab 15.55 Uhr hochpathologisch waren, reagierte sie darauf nicht. In ihrer Dokumentation vermerkte sie für 19.10 Uhr, dass sie die Daten dem ebenfalls beklagten Assistenzarzt gezeigt habe. Um 19.36 Uhr bat sie den Mediziner vorbeizukommen. Er traf um 19:45 Uhr ein und veranlasste um 20:15 Uhr einen Notkaiserschnitt, da die Herztöne des Ungeborenen erheblich abfielen. Ein OP-Bericht existiert nicht. Der Arzt hatte sich Folgendes notiert: "Von der stationären Aufnahme der Patientin bis 19.36 Uhr war ich informiert (...). Keine Informationen über CTG. Um 19.36 Uhr wurde ich von Frau K. (...) angerufen, der Muttermund ist vollständig, sonst keine anderen Informationen am Telefon."

BGH: Fehlender Indizwert der Dokumentation

Das OLG Koblenz bejahte eine Haftung für den Geburtsschaden des bei den Klägerinnen versicherten Kindes und sprach den Versicherungsträgern die Klageansprüche zu. Dem Assistenzarzt sei ein Behandlungsfehler unterlaufen, weil er das hochpathologische CTG um 19.10 Uhr zur Kenntnis genommen und gleichwohl zunächst nichts unternommen habe. Die Richtigkeit der Eintragung der Hebamme werde vermutet. Für das Gegenteil trügen die Ärzte die Beweislast.

Aus Sicht des für das Arzthaftungsrecht zuständigen VI. Zivilsenats des BGH war diese Annahme allerdings falsch (Urteil vom 05.12.2023 – VI ZR 108/21). Denn der Inhalt der Dokumentation sei – entgegen der Auffassung des OLG – nicht zugunsten des beweisführenden Kostenträgers als richtig zu unterstellen, soweit nicht der Beweisgegner (hier: die Behandlerseite) das Gegenteil beweise. Eine derart weitgehende Wirkung komme der Dokumentation des Behandlungsgeschehens nicht zu. Daran ändere auch der später eingeführte § 630h BGB nichts: Die Norm enthalte keine positive Beweisvermutung zugunsten der Richtigkeit von Einträgen.

Die Eintragung sei lediglich ein Indiz für die Kenntnisnahme. An dem erforderlichen Indizwert der Dokumentation kann es den Karlsruher Richterinnen und Richtern zufolge aber dann fehlen, wenn – wie hier – die Hebamme als Dokumentierende Umstände in der Patientenakte festgehalten hat, die sich zulasten des Mitbehandlers (Beweisgegners) auswirken und nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie sich ggf. dadurch entlasten wollte. Das OLG muss erneut verhandeln.

BGH, Urteil vom 05.12.2023 - VI ZR 108/21

Redaktion beck-aktuell, ns, 15. Januar 2024.