Sachverhalt
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Hausgrundstücks, das an die städtische Schmutz- und Regenwasserkanalisation angeschlossen ist und an einen im Eigentum der beklagten Gemeinde stehenden Wendeplatz grenzt, auf dem ein Kastanienbaum angepflanzt ist. Nach der Abwasserbeseitigungssatzung der Beklagten hat sich jeder Anschlussnehmer gegen Rückstau des Abwassers aus den öffentlichen Abwasseranlagen bis zur Rückstauebene selbst zu schützen. Das Anwesen der Klägerin verfügt nicht über eine solche Rückstausicherung. Als in einer Nacht mit starkem Regen die Regenwasserkanalisation die anfallenden Wassermassen nicht mehr ableiten konnte, weil Wurzeln der auf dem Wendeplatz befindlichen Kastanie in den Kanal eingewachsen waren und dessen Leistungsfähigkeit stark einschränkten, kam es zu einem Rückstau im öffentlichen Kanalsystem und auf dem Grundstück der Klägerin, sodass Wasser in deren Keller lief.
OLG verneinte Ersatzansprüche der Klägerin
Die Klägerin machte den Schaden geltend und räumte im Hinblick auf das Fehlen einer Rückstausicherung ein Mitverschulden ein. Das Landgericht gab der Klägerin zum Teil Recht. Auf die Berufung der Beklagten wies das Oberlandesgericht die Klage gänzlich ab. Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte als Betreiberin des Kanals seien wegen der fehlenden Rückstausicherung ausgeschlossen. Als Eigentümerin des Grundstücks, auf dem sich die Kastanie befinde, falle ihr eine Verkehrssicherungspflichtverletzung im Hinblick auf den Kanal nicht zur Last, weil es keine konkreten Anhaltspunkte für das Eindringen von Baumwurzeln in die Kanalisation gegeben habe. Die Klägerin legte Revision ein.
BGH: Haftung eines Baumeigentümers für Verwurzelung nur im Einzelfall
Der Bundesgerichtshof hat die Sache zurückverwiesen. Verkehrssicherungspflichten des Eigentümers eines baumbestandenen Grundstücks wegen der Verwurzelung eines Abwassersystems seien zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, kämen jedoch nur unter besonderen Umständen in Betracht. Im Einzelfall müsse geklärt werden, ob und in welchem Umfang beziehungsweise mit welcher Kontrolldichte ein Grundstückseigentümer im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen auch in Bezug auf die mögliche Verwurzelung eines Abwasserkanals durchführen müsse.
Beklagte hätte als Verantwortliche den Kanal auf Einwurzelung überprüfen müssen
Neben der räumlichen Nähe des Baums und seiner Wurzeln zu dem Abwassersystem und den Merkmalen des Baums selbst (Flachwurzler, Herzwurzler, Tiefwurzler) sei letztlich auch die Zumutbarkeit von Kontrollpflichten für den Grundstückseigentümer zu prüfen. Der Grundstückseigentümer müsse regelmäßig nicht den Kanal selbst überprüfen, zu dem er zumeist keinen Zugang habe. Im konkreten Fall hätte die Beklagte als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks und zugleich als Betreiberin des öffentlichen Abwassersystems jedoch den unmittelbaren Zugang zum gesamten ober- und unterirdischen von dem Kastanienbaum ausgehenden Gefahrenbereich gehabt. Soweit im Rahmen ohnehin gebotener Inspektionen des Kanals die Einwurzelungen erkennbar gewesen wären, hätte sie als Grundstückseigentümerin die Pflicht gehabt, diese rechtzeitig zu beseitigen.
Klägerin trifft möglicherweise Mitverschulden wegen fehlender Vorkehrungen gegen Rückstau
Eine Haftung wegen einer möglichen Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die von der Klägerin gegen einen möglichen Rückstau zu treffenden Vorkehrungen unzureichend waren. Die aus der Satzung folgende Obliegenheit von Grundstückseigentümern, selbst für eine Sicherung gegen Rückstauschäden zu sorgen, gelte nur im Verhältnis zum Kanalbetreiber. Die beklagte Stadt hafte im Streitfall jedoch nicht in dieser Funktion, sondern als Eigentümerin des Baumgrundstücks. Es komme daher nur eine Kürzung des etwaigen Schadensersatzanspruchs wegen Mitverschuldens der Klägerin gemäß § 254 Abs. 1 BGB in Betracht.