Ausreisepflicht erst begründende Abschiebungsanordnung vor Sicherungshaft zuzustellen

Wird die Ausreisepflicht eines Asylsuchenden erst durch die Abschiebungsanordnung begründet, muss sie vor Anordnung der Sicherungshaft bekannt gegeben werden. Laut Bundesgerichtshof ist sie dann nicht nur Vollstreckungshandlung, sondern Grundlage der Ausreisepflicht. Etwaige Zustellungsmängel seien aber im Rahmen einer Akteneinsicht durch den Anwalt des Flüchtlings heilbar.

Mann mit unbekannter Nationalität beantragt Asyl

Ein Asylsuchender mit ungeklärter Staatsangehörigkeit war im Januar 2018 in das Bundesgebiet eingereist. Laut einer Datenbankabfrage hatte er Europa zuvor über Schweden betreten. Daraufhin lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag ab und ordnete die Abschiebung nach Schweden an. Im Februar 2018 wurde er bei einem Polizeieinsatz in der Flüchtlingsunterkunft wegen des Verdachts einer schweren staatsgefährdenden Straftat festgenommen (§ 89a StGB). Er habe in der Vergangenheit mehrfach geäußert, er wolle mit einer Bombe "ungläubige Menschen" töten. Auf seinem Mobiltelefon wurden Bilddateien gefunden, auf denen der Betroffene mit Kriegswaffen posierte. Nach kurzem Aufenthalt in der Psychiatrie kam er in die Justizvollzugsanstalt Tegel. Die Generalstaatsanwaltschaft war mit der Überstellung nach Schweden einverstanden. Das AG Berlin-Tiergarten ordnete auf Antrag der Ausländerbehörde gegen ihn Haft zur Sicherung der Überstellung nach Schweden bis zum 15.03.2018 an. Die Haft saß er in der JVA Tegel, einer gewöhnlichen Haftanstalt, getrennt von Strafgefangenen ab. Seine Beschwerde wies das Landgericht Berlin zurück. Am 13.03.2018 wurde der Mann nach Schweden abgeschoben. Die Rechtsbeschwerde beim BGH hatte teilweise Erfolg.

Überstellungshaft ist teilweise rechtswidrig

Aus Sicht der obersten Zivilrichter war die Haft für den Zeitraum vom 15.02.2018 bis zum 27.02.2018 rechtswidrig, weil keine vollziehbare Ausreisepflicht festgestellt worden sei. Der Asylsuchende sei bei Erlass der Haftanordnung nicht mehr aufgrund unerlaubter Einreise ausreisepflichtig gewesen. Danach habe auf seinen Antrag hin ein Asylverfahren stattgefunden, sodass er in diesem Zeitraum nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG kraft Gesetzes zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen sei. Laut BGH durfte die Sicherungshaft gegen ihn nicht angeordnet werden, weil ihm die Abschiebungsanordnung vor Beginn der Haft nicht zugestellt worden sei. Dem XIII. Zivilsenat zufolge ist das LG zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Bescheid aufgrund der Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG als mit Aufgabe zur Post am 26.01.2018 zugestellt wurde. Es habe überspannte Anforderungen an den Nachweis der Unrichtigkeit der Zustellungsurkunde gestellt. Vielmehr hätte es dem Vorbringen des Betroffenen nachgehen müssen (§ 26 FamFG). Danach will er von Mitte Januar bis Mitte Februar 2018 in der Einrichtung gewohnt haben; für diesen Zeitraum sei kein Posteingang zu verzeichnen gewesen. Die Aufrechterhaltung der Haft über den 27.02.2018 hinaus bis zu seiner Überstellung nach Schweden sei dagegen nicht zu beanstanden gewesen. Denn der ursprüngliche Mangel der Zustellung der Anordnung sei im Rahmen einer Akteneinsicht des Bevollmächtigten am 27.02.2018 entsprechend § 8 VwZG geheilt worden.

BGH, Beschluss vom 31.08.2021 - XIII ZB 97/19

Redaktion beck-aktuell, 3. November 2021.