Ausnahme vom Vorrang der Leistungsklage

Fordert ein Geschädigter von einer Versicherung Schadensersatz, ist er berechtigt, zunächst einmal feststellen zu lassen, dass er dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Versicherung hat, wenn er den versicherungsvertraglichen Bedingungen nach die Höhe des Schadens im Sachverständigenverfahren bestimmen lassen kann. Dies hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 13.04.2022 entschieden.

Wasserschaden nach mehrmonatiger Abwesenheit

Ein Mann drehte in seinem Haus den Wasserabsperrhahn zu, entleerte alle Wasserleitungen und vergewisserte sich, dass die Absperrung kein Wasser mehr durchließ, um dann in einen langen Urlaub zu fahren. Als er ein halbes Jahr später wiederkam, erwartete ihn dennoch ein gehöriger Wasserschaden. Er bezifferte seinen Gebäudeschaden auf rund 43.000 Euro und seinen Hausratschaden auf 10.000 Euro. Seine Versicherung bestritt die Höhe der Schäden. Die Versicherungsverträge sahen vor, dass zur Klärung der Schadenshöhe ein außergerichtliches Sachverständigenverfahren durchgeführt werden kann. Der Hauseigentümer erhob daher zunächst nur die Feststellungsklage, dass die Versicherung leistungspflichtig ist – soweit kein Grund zum Leistungsausschluss eingreife. Sowohl das Landgericht Weiden in der Oberpfalz als auch das Oberlandesgericht Nürnberg gaben der Klage statt. Die Versicherung wandte sich daraufhin an den BGH (Az.: IV ZR 60/20) – ohne Erfolg.

Feststellungsinteresse gegeben

Der Grundsatz, dass einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO regelmäßig das Feststellungsinteresse fehlt, wenn eine Leistungsklage möglich und zumutbar ist, ist nach Ansicht des IV. Zivilsenat hier nicht einschlägig. Zwar sei nicht zu erwarten, dass die Versicherung nach einem stattgebenden Feststellungsurteil den Schaden ersetze, weil sie die Zulässigkeit der Klage bestreite und den Anspruch auch der Höhe nach für ungerechtfertigt halte. Allerdings spricht den Karlsruher Richtern zufolge die vertraglich vereinbarte Möglichkeit zur Durchführung des Sachverständigenverfahrens zur Ermittlung der Schadenshöhe für die Feststellungsklage. Dieser Option würde sich der Hauseigentümer selbst entziehen, wenn er die Leistungsklage erhebe.

Grundsätze zum Grundurteil nur eingeschränkt übertragbar

Die Grundsätze zum Erlass eines Grundurteils nach § 304 Abs. 1 ZPO (das Gericht entscheidet, dass der Anspruch dem Grunde nach besteht, über die Höhe des Anspruchs wird später entschieden) seien auf diesen Fall nur eingeschränkt übertragbar, so der BGH. Ein vollumfängliches Grundurteil setze voraus, dass alle Einwände hinsichtlich des Anspruchsgrunds zur Entscheidung reif seien. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass sich nach dem Erlass eines stattgebenden Grundurteils zum Beispiel herausstellt, dass der Geschädigte versucht habe, seine Versicherung über die Schadenshöhe arglistig zu täuschen – mit der Folge, dass die Versicherung von der Entschädigungspflicht befreit werde. Es gebe dann in einem Prozess zwei sich widersprechende Urteile, was unbedingt zu vermeiden sei. Durch das antragsgemäß erlassene Feststellungsurteil mit anschließendem Sachverständigenverfahren bestehe das Risiko hier aber nicht.

BGH, Urteil vom 13.04.2022 - IV ZR 60/20

Redaktion beck-aktuell, 28. April 2022.