Auslegung einer Klausel zum Eintritt der Berufsunfähigkeit

Unterscheidet eine Klausel für den Eintritt der Berufsunfähigkeit zwischen einer Prognose zukünftiger Erwerbsunfähigkeit und einer rückblickenden Feststellung des Bestehens einer solchen Einschränkung in letzten sechs Monaten, so kann ein Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass im zweiten Fall der Stichtag am Ende des Zeitraums liegt. Laut Bundesgerichtshof hätte ansonsten klargestellt werden müssen, dass immer der Beginn der sechs Monate entscheidend sein soll.

Einheitlich zu beurteilen

Ende Juli 2016 hatte ein Mann einen Arbeitsunfall erlitten und war nicht mehr arbeitsfähig. Für seine seit 2009 bestehende Berufsunfähigkeitsversicherung hatte er das Recht vereinbart, ohne weitere Gesundheitsprüfung den Versicherungsumfang zu erhöhen. Von dieser Option machte er im Oktober 2016 mit Wirkung zum November Gebrauch und verdoppelte den Versicherungsschutz. Unstreitig war, dass er die zum Zeitpunkt der Berufsunfähigkeit vereinbarte Rente erhalten musste. Für die Versicherung war dies nach den wesentlichen Klauseln der 29.7.2016 maßgeblich – was den Leistungsstandard von vor der Aufstockung bedeutete. Insoweit war geregelt, dass Berufsunfähigkeit gegeben sei, wenn er (1.2.1 AVB) "…6 Monate ununterbrochen außerstande war oder voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist…", seinen Beruf auszuüben. Ergänzt wurde dies durch eine Erläuterung zur Karenzzeit: "(2.4.1 AVB) Der Anspruch auf Leistungen entsteht mit Beginn des Kalendermonats nach Eintritt der Berufsunfähigkeit (= Beginn des sechsmonatigen Zeitraums gemäß Abschnitt 1.2.1)…".

Vorläufiger Erfolg für Kläger erst vor dem BGH

Die Klage des Versicherten auf die höhere Rente hatte vor dem LG Berlin keinen Erfolg. Das Kammergericht stellte sich ebenfalls auf die Seite der Versicherung. Spätestens die Erläuterung in dem Klammerzusatz mache klar, dass immer auf den Beginn des Zeitraums abzustellen sei. Es ließ jedoch – aufgrund der Bedeutung der Klausel – die Revision zu. Diese führte zur Zurückverweisung der Sache nach Berlin.

Unterschiedliche Anknüpfungszeitpunkte

Aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherten mochte der IV. Zivilsenat der Auslegung des KG nicht folgen. Für diesen sei klar, dass es hier zwei Alternativen gebe: eine Prognose für die nächsten sechs Monate oder eine Rückschau auf den vergangenen Zeitraum. Im zweiten Fall, so die Bundesrichter, werde er dies so verstehen, dass die Berufsunfähigkeit mit Abschluss des Zeitraums eintritt – und somit nach der Rentenerhöhung. Sie grenzten dies von einer anderen Klausel ab, bei der durch den Zusatz "von Beginn an" eine klare Festlegung auf den Anfang der sechs Monate erfolgt war.  Der Klammerzusatz in 2.4.1 AVB ändere diese Einschätzung nicht: Die Erläuterungen zur Karenzzeit beziehen sich nach Ansicht der Karlsruher Richter nur auf den Beginn der Leistungen und stehen in keinem räumlichen oder sachlichen Zusammenhang mit der Definition der Berufsunfähigkeit. Hier müsse nun geklärt werden, nach welcher Alternative die Einstufung des Versicherten als berufsunfähig erfolgt sei.

BGH, Urteil vom 14.07.2021 - IV ZR 153/20

Redaktion beck-aktuell; Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 29. Juli 2021.