Die Karlsruher Richterinnen und Richter haben sich in zwei Fällen mit dem Recht auf einen barrierefreien Umbau des Gemeinschaftseigentums befasst. In einem Fall billigten sie einen Außenaufzug im Innenhof eines Jugendstilhauses in München, im zweiten Fall eine Terrasse mit Rampe an einer Wohnanlage in Bonn.
Der BGH hat die Fälle vor dem Hintergrund des neuen Wohnungseigentumsrechts geprüft. Im Jahr 2020 hatte der Gesetzgeber durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz die Vorschriften über bauliche Veränderungen in §§ 20, 21 WEG neu gefasst und grundlegend geändert. Danach kann jeder Eigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen. Nicht gestattet sind aber Veränderungen, die eine Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer unbillig benachteiligen. Die Reform sollte Älteren oder Menschen mit Behinderung bauliche Veränderungen im Sinne der Barrierefreiheit erleichtern.
In dem Münchner Fall geht es um zwei kurz nach der Jahrhundertwende gebaute Jugendstil-Häuser, die unter Denkmalschutz stehen. Das Vorderhaus erhielt im Jahr 1983 den Fassadenpreis der Stadt München. Die Eigentümer der Wohnungen im dritten und vierten Stock des Hinterhauses - dem ehemaligen "Gesindehaus", dessen Fassade weniger pompös daherkommt -, wollten am Treppenhaus auf eigene Kosten einen Außenaufzug anbringen lassen. Da die Miteigentümer den Antrag ablehnten, reichten die Hinterhausbewohner Beschlussersetzungsklage ein - und hatten damit in zweiter und dritter Instanz Erfolg.
Aufzug ist angemessene bauliche Veränderung
Laut BGH stellt die Errichtung des Aufzugs eine im Sinn des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 WEG angemessene bauliche Veränderung dar, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderung dient (Urteil vom 09.02.2024 - V ZR 244/22). Zum einen sei der Bau des Aufzuges für die Miteigentümer nicht mit unzumutbaren Nachteilen verbunden. So seien Eingriffe in die Bausubstanz, übliche Nutzungseinschränkungen des Gemeinschaftseigentums und optische Veränderungen einer Wohnanlage durch Anbauten regelmäßig als angemessene bauliche Veränderung zu dulden. Zum anderen komme es auf die Kosten der baulichen Veränderung nicht an, da diese gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 WEG von dem Wohnungseigentümer zu tragen sind, der die Veränderung wünscht.
Laut den Richterinnen und Richtern sind auch die Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG eingehalten worden. So werde insbesondere die Wohnanlage durch den Aufzug nicht grundlegend im Sinn von § 20 Abs. 4 Hs. 1 Alt. 1 WEG umgestaltet. Der Gesetzgeber habe im gesamtgesellschaftlichen Interesse bestimmte Kategorien von Maßnahmen, darunter eben auch die Förderung der Barrierefreiheit, privilegieren wollen. Dem sei bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, im Sinn eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen. Schließlich werde durch den Bau des Aufzugs auch kein anderer Wohnungseigentümer im Sinn von § 20 Abs. 4 Hs. 1 Alt. 2 WEG unbillig benachteiligt.
Mit WEG-Erlaubnis leichter zur gewünschten Veränderung
Im Bonner Fall begehrte eine Eigentümerin den Bau einer Rampe als barrierefreien Zugang in ihre Erdgeschoss-Eckwohnung. Im Gegensatz zum Fall aus Bayern wurde die Maßnahme von den Eigentümern mit einfacher Mehrheit als privilegierte Maßnahme gemäß § 20 Abs. 2 S. 2 WEG beschlossen. Doch einige Hausbewohner störten sich an der baulichen Veränderung und zogen vor Gericht. Während sich die Instanzgerichte noch auf die Seite der klagenden Eigentümer stellten, urteilte der BGH auch hier zugunsten der Barrierefreiheit (Urteil vom 09.02.2024 - V ZR 33/23).
Die Karlsruher Richterinnen und Richter stellten klar, dass es bei einem positiven Beschluss nach § 20 Abs. 2 S. 2 WEG gerade nicht darauf ankomme, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 20 Abs. 2 S. 1 WEG im Einzelnen vorliegen und ob die bauliche Veränderung insbesondere angemessen ist. Auf diese Voraussetzungen komme es nur an, wenn der Anspruch des Wohnungseigentümers - wie im Münchner Fall - abgelehnt wurde und sich dieser dagegen mit Anfechtungsklage oder Beschlussersetzungsklage wehrt.
Vielmehr dürften Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung auch dann durch Mehrheitsbeschluss gestatten, wenn sie die Anspruchsvoraussetzungen nicht als gegeben ansehen oder jedenfalls Zweifel hieran hegen. Sie müssten lediglich die Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG beachten. Dies sei vorliegend geschehen: Im Bau der Rampe liegt laut BGH weder eine grundlegende Umgestaltung noch werde ein anderer Wohnungseigentümer unbillig benachteiligt.