Aufhebung eines Strafurteils – Vorsatz, Strafzumessung, Maßregel

Der Bundesgerichtshof hatte über ein Strafurteil zu befinden, das eine Reihe unterschiedlicher Fehler aufwies. So war der Vorsatz im Rahmen des Widerstandsparagrafen nicht belegt, die Strafzumessung enthielt einen Fehler in der Strafrahmenbestimmung und in den Maßregeln fehlte die Einstellung von prognoseungünstigen Faktoren. Zugrunde lag der Entscheidung eine wilde Verfolgungsjagd in Hamm nach einem Diebstahl.

Wilde Verfolgungsjagd mit dem Auto

Ein 63-jähriger Mann, seit vielen Jahren drogenabhängig, floh nach einem Diebstahl in einem nicht versicherten Auto, obwohl er keine Fahrerlaubnis hatte. Als die Polizei ihn anhalten wollte, weil eine Mitfahrerin nicht angeschnallt war, raste er los: Er fuhr so schnell, dass sich mehrere Fußgänger auf dem Seitenstreifen in Sicherheit bringen mussten. Seine Fahrt endete an ein paar Betonsteinen, die jegliche Weiterfahrt verhinderten. Auch das Streifenfahrzeug hinter ihm hielt an. Der Beifahrer wollte gerade auszusteigen, da setzte der mutmaßliche Dieb einfach zurück und "touchierte" die gerade geöffnete Autotür des Polizeifahrzeugs. Der Beamte schaffte es noch, seinen Fuß wieder in den Wagen zu holen, bevor seine Tür zuknallte. Dann wurde der Verfolgte festgenommen. Das Landgericht Dortmund verurteilte ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren und ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Außerdem erhielt er eine isolierte Fahrerlaubnissperre von drei Jahren. Dabei bewerteten die Strafrichter das Zurücksetzen und Anfahren des Streifenwagens als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Die Revision des Mannes vor dem Bundesgerichtshof war erfolgreich.

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht ohne Vorsatz

Der 4. Strafsenat bemängelte, dass die Dortmunder Richter in ihrem Urteil nichts über die Vorstellung des Fahrers mitteilten, als er den Wagen zurücksetzte und das Streifenfahrzeug rammte. Hatte er gesehen, dass der Polizist bereits im Begriff war, auszusteigen? Hatte er überhaupt einkalkuliert, dass er die geöffnete Beifahrertür des Streifenwagens berühren und diese dadurch wieder zuschlagen würde? Ohne diese Feststellungen sei das Vorliegen der Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 StGB und der tateinheitlich mitverwirklichten Straftatbestände nicht nachvollziehbar. Der BGH hob den Schuldausspruch deshalb auf.

Wahl des Strafrahmens fehlerhaft

Wegen des räuberischen Diebstahls nach § 252 StGB hält der BGH die Strafzumessung für mangelhaft: Hier hatte das Landgericht wegen der Drogensucht des Mannes die Möglichkeit, den minder schweren Fall nach § 250 Abs. 3 StGB mit der Strafandrohung von ein bis zehn Jahren oder den Strafrahmen der § 250 Abs. 2 Nr. 1, §§ 2522149 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1, Nr. 3 StGB mit einer Androhung von zwei bis elf Jahren und drei Monate auszuwählen. Sie hatten sich für die letztere Variante entschieden, weil sie "offener" und "besser geeignet" sei. Die Karlsruher Richter fanden diese Begründung nicht überzeugend, denn im Allgemeinen liege die Anwendung der Norm mit der niedrigeren Untergrenze nahe, wenn die Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens anzusiedeln sei. Da sei schon ein höherer Begründungsaufwand vonnöten, wenn man sich dagegen entscheide. Bei anderen Einzelstrafen hatte das Landgericht gleich vergessen, die Schuldminderung wegen der Kokain- und Heroinsucht zu berücksichtigen, weshalb der BGH auch diese Strafaussprüche aufhob.

Maßregeln der Besserung und Sicherung auch ungenügend begründet

Nach § 64 Satz 2 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur dann angeordnet werden, wenn die Therapie bei dem Mann konkrete Aussicht auf Erfolg hat. Dabei sind dem 4. Strafsenat zufolge im Urteil alle Umstände zu diskutieren, die dafür und dagegen sprechen. Hier sei nur das Alter des Täters problematisiert worden. Dessen langjährige verfestigte Sucht, die Therapieabbrüche bzw. Nichtantritt der Therapie im Rahmen der "Therapie statt Strafe"-Maßnahme nach § 35 BtMG als prognoseungünstige Faktoren würden hingegen gänzlich fehlen. Die Karlsruher Richter hoben selbst die Fahrerlaubnissperre auf, weil die Dauer der Sperrfrist allein vom Vollzug der Maßregel abhängig gemacht worden sei. Das LG hätte sich ausführlicher mit der voraussichtlichen Dauer seiner Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs beschäftigen müssen.

BGH, Beschluss vom 09.11.2022 - 4 StR 272/22

Redaktion beck-aktuell, 15. Dezember 2022.