Arzthaftung bei Nutzung veralteter Dokumentationssoftware
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Wird eine ärztliche Behandlung mit einer Software dokumentiert, die nachträgliche Änderungen nicht kenntlich macht, stellt diese Aufzeichnung kein Indiz für den Ablauf der Behandlung dar. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass sie lediglich noch einen Aspekt der Beweiswürdigung darstellt, weil inzwischen vorgeschrieben ist, dass jede Ergänzung oder Änderung in der Patientenakte erkennbar sein muss.

Nach Netzhautablösung erblindet

Ein Mann sah schwarze Flecken in seinem linken Auge und rief bei seiner Augenärztin an. Sie gab ihm einen Termin drei Tage später. Bei der Untersuchung, in der ihr Kind ebenfalls anwesend war und ihre Aufmerksamkeit forderte, entdeckte sie keine Verletzung der Netzhaut. Umstritten war, ob sie seine Pupillen für die Untersuchung erweitert hatte oder nicht. Sie hatte das zwar so in der Patientenakte notiert, nutzte dafür aber eine elektronische Software, die nachträgliche Änderungen nicht kenntlich machte. Sie diagnostizierte eine altersbedingte Glaskörpertrübung, die nicht weiter zu beachten sei. Ungeklärt blieb, ob sie ihn auf die Notwendigkeit von Folgeuntersuchungen hingewiesen hatte. Monate später erkannte ein Optiker eine Netzhautverletzung und der Patient ließ sich im Krankenhaus operieren. In der Folge traten Komplikationen auf und der Mann erblindete auf dem linken Auge. Er verlangte von seiner Augenärztin Schadenersatz für die mangelhafte Untersuchung des Augenhintergrunds. Weder vor dem Landgericht Aurich noch vor dem Oberlandesgericht Oldenburg hatte er Erfolg und wandte sich deshalb an den BGH - mit teilweisem Erfolg.

Beweiswürdigung bei elektronischer Behandlungsdokumentation

Der VI. Zivilsenat unterscheidet zwischen Software, die nachträgliche Änderungen kenntlich macht, und solcher, in der man die Aufzeichnungen unerkannt im Nachhinein ergänzen und korrigieren kann. Hieran knüpfte er unterschiedliche Anforderungen an die Beweiswürdigung der Richter: Seit der Einführung des Patientenrechtegesetzes sei die Ärzteschaft nach § 630f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB verpflichtet, ihre Behandlung so zu dokumentieren, dass nachträgliche Änderungen erkennbar seien. Verstoße die Ärztin gegen diese Regel, kann sie laut den Karlsruher Richtern – entgegen der Beweiswürdigung des OLG – nicht die positive Indizwirkung für die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Dokumentation für sich in Anspruch nehmen. Der BGH hat das Urteil daher aufgehoben und zurückverwiesen.

Keine Beweislastumkehr bei nur unwesentlichem Dokumentationsmangel

Der Patient hat dem BGH zufolge einen unterbliebenen Hinweis auf eine notwendige Folgeuntersuchung darzulegen und zu beweisen. Eine Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 3 BGB trete nur dann ein, wenn die Patientenakte abhandengekommen oder eine wesentliche medizinische Maßnahme nicht dokumentiert worden sei. Zwar diene die Aufzeichnung auch der Beweissicherung im Schadensfall, der Hauptzweck liege aber in der Sicherung des Therapieerfolges. Daher richte sich die Aufzeichnungspflicht nach § 630f Abs. 2 BGB auch danach, ob der Eintrag für die Behandlung erforderlich sei – so für eine spätere Weiterbehandlung. Sei die Eintragung medizinisch nicht notwendig, sei sie es auch aus Rechtsgründen nicht. Die Tatsache, dass die Ärztin die Kontrollbedürftigkeit des Auges nicht dokumentiert hat, führt dem BGH zufolge nicht zur Beweislastumkehr zulasten der Medizinerin.

BGH, Urteil vom 27.04.2021 - VI ZR 84/19

Redaktion beck-aktuell, 16. Juni 2021.