Anwesenheit des Verteidigers und zulässiges Verteidigungsverhalten

Die alleinige Vertretung durch einen nicht mehr zugelassenen Pflichtverteidiger in der Hauptverhandlung stellt einen absoluten Revisionsgrund dar. In dieser und einer weiteren gemeinsam veröffentlichten Entscheidung hat sich der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Verteidigungsrechten beschäftigt. Im zweiten Fall hielt er fest, dass zulässiges Verteidigungsverhalten nicht gegen einen Angeklagten verwendet werden darf.

Zulassung verloren

In einem Strafverfahren vor dem LG Bochum war ein Mann unter anderem wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Das Gericht hatte ihm zwei Pflichtverteidiger beigeordnet. Allerdings war der bei der Urteilsverkündung am 10.12.2021 allein anwesende Beistand bereits seit dem 02.12.2021 kein Anwalt mehr. Die Verfahrensrüge seiner vormaligen Mitverteidigerin hatte Erfolg: Da sie den Sachverhalt in der Revisionsbegründung durch Wiedergabe der Auskunft der RAK Hamm eindeutig dargelegt habe, mache auch die Mitteilung der widersprüchlichen Angaben des ehemaligen Anwalts zum Verlust seiner Zulassung die Rüge nicht unklar. Inhaltlich lag für die Karlsruher Richter durch die alleinige Vertretung durch einen "Scheinverteidiger" bei der Urteilsverkündung ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO vor (Verfahren zu Az. 4 StR 117/22).

Beschönigende Angaben

In der anderen Entscheidung hatte es das LG Hagen abgelehnt, eine Verurteilung von einem Jahr und sechs Monaten wegen Betrugs in zwölf Fällen zur Bewährung auszusetzen. Seine Eindrücke hielt das Gericht so fest: "Darüber hinaus hat sich im Verlauf der Hauptverhandlung gezeigt, dass es dem Angeklagten immer noch nicht gelingt, aufrichtig zu sein und Sachverhalte so darzustellen wie sie sind. (…) Unzutreffende Angaben hat der Angeklagte auch über seine derzeitige Arbeitgeberin getätigt (…)". Der 4. Strafsenat hob das Urteil im Hinblick auf die Aussetzung auf. Die gewählten Formulierungen ließen befürchten, dass das Landgericht verkannt habe, dass der Angeklagte im Strafverfahren nicht die Wahrheit sagen müsse. Aus falschen Darstellungen dürften – im Rahmen des zulässigen Verteidigungsverhaltens – keine negativen Schlüsse gezogen werden, was auch für die Frage der Legalprognose gelte. Obwohl die sonstige Lage eine Bewährung hier eher fernliegend erscheinen lasse, könne ein Einfluss dieser Wertungen nicht ausgeschlossen werden (Beschluss vom 16.08.2022 – 4 StR 186/22).

BGH, Beschluss vom 30.08.2022 - 4 StR 117/22

Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 20. September 2022.